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Der Geruch nach Spirit trügt nicht, neben den Betten stehen wieder überall fein säuberlich die Plastikfläschchen mit dem violetten Alkohol. Und die Sekretion aus den Wunden liefert die Bestätigung.
Die Nähte sind nicht mehr alle in der üblichen Kashikishi-Salami-Technik gehalten. Hier und da erblickt das Auge freudig locker adaptierte Einzelknopfnähte. Dafür gibt es neu auch ganz hässliche Exemplare, bei denen der Blick auf dem subkutanen Fettgewebe verweilt. Zwei sind so grobfahrlässig, dass sie einer Revision in Lokalanästhesie bedürfen. Die obligate postoperative Triple-Antibiose hat sich bei einzelnen Patientinnen auf eine Zweierkombination reduzieren lassen. Ziel der diesmaligen Mission ist es, im Sinne von weniger ist mehr, von einer perioperativen Antibiotikaprophylaxe zu überzeugen. Dies soll mit Hilfe der mitgebrachten wissenschaftliche Artikel gelingen – evidence based medicine in Kashikishi. Es praktisch und kontinuierlich umzusetzen, wird dadurch erschwert, dass die ganzen Pflegekräfte einmal im Kreis rotiert haben. Das heisst, bis auf die Hebammen, arbeitet keiner mehr im gleichen Ward, wie beim letzten Mal. Ziel dieser Übung ist es, in allen Gebieten in Form zu bleiben. Es wäre allerdings zu wünschen, dass zumindest im OP eine kleine Auffrischung der Basics stattfinden würde. Beim letzten Kaiserschnitt hat das Auge voller Verwunderung die wild aufeinandergetürmten Utensilien auf dem Instrumententisch wahrgenommen. Da lagen Instrumente in wildem Durcheinander, mittendrin das Skalpell und weit und breit kein Faden. Aber eben, alles zu seiner Zeit.
Zwei Tage haben es in sich: Dammriss vierten Grades, Plazentaretention ohne sichtbare oder tastbare Nabelschnur. Ellbogenlange Handschuhe zur Bergung der Plazenta sind out of stock – also Augen zu und durch, auf reichlich Wasser im Anschluss hoffend. Bilder aus der Kindheit tauchen auf: Grossvater bis zum Oberarm in einer kalbenden Kuh – natürlich mit langem Handschuh. Damit nicht genug, der kleine OP ist ein getarnter Brutofen, das Ganze ist eine schweißtreibende Angelegenheit ohne Mittagessen, die Arme zittern. Kämpfen sie sich doch nicht nur in die Gebärmutter hinein, sondern auch noch gegen den Versuch an, die Handschuhe in entgegengesetzte Richtung lang zu ziehen, um die unvermeidliche Besudelung meines Armes mit Blut zu verhindern. Die ganze Zeit können die Augen nicht anders, sie ruhen auf diesem kleinen Fuss - an einen Kinderfuss möchte man denken - sehen die fehlende Haut am grossen Zeh und die eingetrockneten Erdspuren in den feinen Hautlinien. Lehmfüsschen denkt es und was, um Gottes willen nochmals, hat mich hierher verschlagen…sehr selten einmal, taucht diese Frage dann doch auf.
Eine Gelbsucht ungeklärter Ursache, die Frau verstirbt nach kurzzeitiger Besserung mit sechsundzwanzig Jahren drei Tage nach der Geburt des ebenfalls verstorbenen Kindes. Eine verschleppte Geburt mit einer Austreibungsphase von sieben Stunden – eine Überweisung aus der Clinic (Ausstenstation zur Erstversorgung ohne Ärzte), blutiger Aszites bei einem Mann.
Die Duplizität der Fälle gilt auch für Kashikishi: Zweimal ein Couvelaire-Uterus, einmal ein Hb von 5,7g/dl und einmal von 6,1g/dl präoperativ und keine Blutkonserven. Lange Diskussionen beginnen, ob man eine Operation überhaupt wagen soll. Schliesslich sind alle einverstanden, die Verwandten über den sehr ungewissen Ausgang der Operation aufgeklärt. Gleichzeitig sind auch zwei Stunden und noch mehr Blutverlust ins Land gezogen, die Muzungu hat diplomatisch ihre Ungeduld gezeigt: die Alternative, dem Verbluten zu zusehen, scheint ihr keine zu sein. Ein Uterus kann gerettet werden, der andere wird entfernt - die Kinder beide tot. Postoperativ ein Hb von 3,7g/dl nach Transfusion von Frischblut, welches eine Verwandte gespendet hat und dann sind auch die Transfusionsbeutel out of stock. Beide Frauen leben und beide erholen sich gut - wieder einmal ist Staunen angesagt.