ähhmm


Eindeutig unterschätzt haben wir das Sprachproblem im Spitalalltag. Da gibt es einerseits die gebärfreudigen Frauen und Mädchen – an manchen Tagen kommt bei einer Ansammlung von Sechzehnjährigen eher der Gedanke an einen Schulausflug auf – die kein Wort Englisch sprechen und genauso wenig verstehen. Andererseits gibt es eine Unzahl an Abkürzungen. 
c/o, APH, noc, c/s , BT, RVD +, husband NR, PMTCT, CST, PRN.
Diese fassen eigentlich das Wichtigste zusammen, vorausgesetzt man versteht sie: 
complaining of, antepartal haemorrhage, no other complaints, caesarean section, blood transfusion, retroviral disease positive, husband tested non reactive, prevention mother to child transmission, continue same treatment und patient review when necessary.
Um herauszufinden, woran die Patienten denn leiden braucht man also jemanden, der übersetzt – the one and only Hebamme mit ihren gefühlten tausend Aufgaben fällt in der Regel aus. Gebärdensprache ist, wie bereits erwähnt, wenig erfolgversprechend. Immer noch erstaunt es mich, dass die Menschen hier einen ausgeprägten Sinn für Humor, insbesondere Ironie, haben und dass gleichzeitig eine Verständigung mittels Körpersprache nur rudimentär möglich ist. Das Wort Kultur und die Frage nach deren Entwicklung drängen sich ins Bewusstsein – Theateraufführungen mit Gestik und Mimik als Ausdruck derselben. Und auch mit Übersetzung gehört es dazu, dass in ein und demselben Gespräch eigentlich immer mit drei verschiedenen Varianten auf die gleiche Frage geantwortet wird. Oder dass die Frage nach weniger oder mehr Schmerzen/Blutung eine zehnminütige Diskussion aufwirft und man zum Schluss die Antwort yes erhält. Hmm, also yes weniger oder yes mehr ? Und das gleiche Spiel von vorne. Bis sich die Frage in sich selbst erschöpft und offen gelassen durch den Raum entschwebt...allen rhetorischen Künsten zum trotz. Wenn das Triemli bezüglich Verständigung schon eine harte Schule war, so entspricht das hier dem Kurs für Fortgeschrittene. Verlässlich sind die eigenen fünf Sinne.
Und dann gibt es noch die wenigen gelernten Brocken Bemba – Lachen soll eine heilsame Wirkung haben.

gespenst


Gevatter Tod hat auch Elvis bei der Hand genommen und man möchte gerne fragen, wohin er mit ihm zieht. Mit ihm und der ganzen Menschenkette zwischen sechzehn und vierzig, dahingerafft von diesem gierigen Virus. Man kann unmöglich in Kashikishi arbeiten und sich nicht mit dem Schreckgespenst HIV auseinandersetzen. 80-90% auf der medizinischen Abteilung haben einen positiven HIV-Status, haben AIDS in seinen furchtbarsten Formen. Lungen- und Hirnhautentzündung, grosse Augen, die umgeben von Haut und Knochen ins Nichts starren, bis sie nach wenigen Tagen oder Stunden ihren letzten Atemzug tun können. Eine Generation die sich ausrottet, die wegstirbt wie die Fliegen. Manchmal ist es ein stilles Sterben, manchmal ist es ein regelrechtes Verrecken unter fürchterlichen Schreien. CD4-Zellen zwischen 9 und 150, in 3 Wochen gibt es um die Dreißig neu entdeckte Infektionen ­- Gonorrhoe und Syphyllis als treue Begleiter. Die meisten kommen erst dann ins Spital, wenn das letzte Stündchen auch für nicht medizinisch Gebildete offensichtlich wird. Auf dem Rücken von Brüdern oder Onkeln, man möchte gar nicht wissen, wieviele Stunden sie so zu Fuss unterwegs waren...bei Ankunft im Spital the patient collapsed.
Man möchte sich fragen, warum dieses Elend grösser und trotz Therapien und Aufklärung nicht kleiner wird, das Land einer Flutwelle gleich überrollt wird. Einmal mehr möchte man die afrikanische Kultur, insbesondere ihre Denkweise besser verstehen oder zumindest nachvollziehen können. Naheliegend, dass ein Analphabetismus dieser Grössenordnung bereits die Hälfte des Übels erklären mag – aber was ist mit der gebildeten Schicht, die Englisch spricht oder dem ganzen Medizinalpersonal, welches die Krankheit genauso tabuisiert oder gar leugnet.
Es ist nicht so, dass es keine Möglichkeiten gäbe. Die Bevölkerung hat die Möglichkeit, kostenlos an Kondome zu kommen. Benutzt werden sie in erster Linie von Kindern: sie eignen sich zum Spielen,
besonders gerne werden sie dafür verwendet, Fussbälle zu basteln (mehrere Kondome werden in einen Plastiksack gegeben und mit einer Schnur umwickelt). Es gibt HIV-Kliniken, in denen die Patienten kostenlose Therapie und Beratung erhalten.
Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass man als Mann gesunden kann, wenn man mit einer Jungfrau schläft. Wahrscheinlich ist es für eine Frau nie ansteckender, wie im Moment der Defloration. Die traditionellen Heiler oder der Witchdoctor füllen das Kondom mit Wasser und erklären den Wissensdurstigen, dass das Muster, welches sich aus der Mischung von Wasser und Gleitmittel ergibt, die Wurzel allen Übels ist, dass sich dort in diesen Strukturen das böse Virus versteckt. Was also kann es in den Augen eines wenig gebildeten Afrikaners schlimmeres geben, als ein Kondom zu benutzen ? Mit der Bildung kommt die Scham und mit dieser die Verdrängung. Auch keine einfacheren Gegner.
Die sechzehnjährige Prudence (die Patientin mit der Lungenentzündung und nach Geburt ihres ersten Kindes), sie ist selbst noch ein Kind. Beim sprechen blickt sie nur auf den Boden, lächelt schüchtern. Sie nimmt ihre Medikamente nicht, obwohl sie damit sich selbst und ihr Kind gefährdet, sie geht nach Hause und erzählt ihrer Tante nichts von der Diagnose während der Schwangerschaft. Obwohl ihre Mutter entweder schwer krank oder bereits an HIV gestorben ist– es ist nicht eindeutig herauszufinden. Der Vater des Kindes – some fisherman – lässt sich, seit er die Diagnose weiss, nicht mehr blicken; sein HIV-Test war negativ. Vor der Entlassung der Versuch, in einfachen Worten die Zukunft zu skizzieren: ein Leben lang krank, regelmässige Besuche in der HIV-Klinik, jeden zukünftigen Partner informieren, immer Kondome verwenden. Keine weiteren Kinder mehr, besser auf die eigenen Gesundheit ohne Mann achten. Prudence spricht kein Englisch, Fragen hat sie keine – wie die meisten Patienten hier. Viele Kinder, möglichst vaginal geboren gehören je ärmer desto mehr zum Leben einer Frau. Für eine vaginale Geburt nimmt die Frau, wahrscheinlich unwissentlich, mit Hilfe der traditional Healers oft den Tod in Kauf – die Wehen fördernden Kräuter lassen die Gebärmutter reissen, insbesondere wenn die Frau schon vorher einen Kaiserschnitt hatte. In der Regel stirbt das Kind; wenn die Blutung in die Bauchhöhle zu stark ist, auch die Frau.
Die sambische, wahrscheinlich auch die übrige afrikanische Kultur, kennt keine Zukunft, keine Planung für dieselbe. So erklärt es uns der Pfarrer. Er möchte gerne nach Australien, weil die Menschen Gott da schon besser kennen (möge er nicht an der east coast zwischen Massenbesäufnis und wet T-shirt contest landen). Die afrikanische Kultur lebt im Jetzt und in der Vergangenheit. Auffällig ist, dass diejenigen welche nur gefühlte drei Worte Englisch sprechen, für Gestern in der Regel das Wort tomorrow benutzen. Es kommt einem vor, als gäbe es für den morgigen und all die folgenden Tage nur ein kümmerlich ausgebildetes Bewusstein. Es bleibt die Frage, wie man mit einer völlig anderen kulturellen Erziehung, einem anderen Verständnis von Raum und Zeit, Konsequenzen – insbesondere solche für die fernere Zukunft – begreiflich machen soll.
Wie so oft, bleibt auch hier der Gedanke an die zwei Seiten der Medaille. Mehr Heute und weniger Morgen wäre für manch einen Zuhause ein Segen.
Krankheiten und andere Schicksalsschläge kommen als Folge der Vergangenheit, oder weil einem Schlechtes gewünscht wird. Damit letzteres passiert, reicht es, aus der dörflichen Gemeinschaft hervorzustechen, besser situiert zu sein, als die Anderen. Mit Hilfe des Witchdoctors wird dafür gesorgt, dass Schlechtes widerfahren soll. Es gibt also keinen Anreiz nach vorne zu streben, in der Gesellschaft aufzusteigen – man zieht damit nur das Böse an. Die junge Generation erhält andere Inputs, ganz leise und langsam hat der Wandel schon begonnen.
Diese Aufzeichnungen erheben keinen Anspruch auf eine allgemeingültige sambische, oder gar schwarzafrikanische, Realität. Sie sind lediglich Spiegel des Alltags im ländlichen Kashikishi am Ende der Strasse. Vor allem der Realität des Spitalalltages. Dort, wo Patienten zu Tode geprügelt abgeliefert werden, weil sie versucht haben eine Ziege zu stehlen. Zehn Minuten Autofahrt von hier gibt es ein Gefängnis mit Rechtssprechung. Dort, wo der Arzt noch gleichzeitig Rechtsmediziner ist und Schussverletzungen untersuchen muss, weil von der Polizei gewünscht. Keine Ahnung, ob es in Sambia eine Rechtsmedizin gibt, Pathologen gibt es zwei für das ganze Land.


essen und wochenende


Jetzt gibt es Lucy. Sie spricht nicht viel und wenn sie lacht, kann man sich nie ganz sicher sein, ob es ein an- oder auslachen ist. Sie ist zierlich und hat lange schlingernde Arme. Sie kocht herrlich, lokale Küche par exellence. Inshima, der traditionell zubereitete weisse Mais (eine Art dicke Polenta), grünes Blattgemüse, Tomaten, Süsskartoffeln, gelegentlich einmal Reis und Fisch oder ein Stückchen zähes Fleisch. Welche Wohltat, bekocht zu werden, auch wenn die Portionen etwas grösser sein dürften.
Und weil sie es so gut macht (der initiale Enthusiasmus hat sich auch hier wieder etwas relativiert), hat sie Maxon ein wenig abgelöst - sie arbeitet jetzt im und er ums Haus.
Das Frühstück besteht aus Scones und Bananen. Für diejenigen die mögen, gibt es noch eine Zuckerpaste, die Mangomarmelade genannt wird. Ansonsten gibt es eine Variation zwischen Avocado, Eiern, Tomaten und den Frühstückszutaten. Das sind sozusagen die Grundnahrungsmittel. Maxon gibt es immer noch, er ist nun hauptsächlich Wasserträger und Gärtner – irgendwie scheint er darin mehr seine Berufung gefunden zu haben.
Die letzten importierten Dinge sind aufgebraucht oder neigen sich dem Ende zu. Da gabs mal ein wenig südafrikanischen Käse, Olivenöl und Schokolade, das letzte Stück Butter wird immer kleiner. Man träumt sich mit einer hartnäckigen Regelmässigkeit durchs Schlaraffenland – von Glace bis Käse, von Salat bis Schokolade und Wurst.
Die nächsten Tage noch ist das Swiss ein Viermädel House. Da sind noch Seraina, die Medizinstudentin und Pascale, eine neunzehnjährige Praktikantin. Pascales erhoffte Arbeit mit Kindern im Waisenhaus wurde gezwungenermaßen umgewandelt, da sich dieses 40km von Kashikishi entfernt befindet. Meist hilft sie in der Apotheke mit, immer wieder besucht sie die lokalen Schulen, wo die Züchtigung der Kinder auch noch zum Alltag gehört. Sie bringt ein Stück vom gesunden Alltag in Kashikishi nach Hause, von diesem sehen wir ansonsten wenig bis gar nichts.
Da gibt es die Besuche auf dem lokalen Markt, in der Regel am Wochenende und dann mit halbem Sortiment. Überall finden sich Kleiderhaufen, Hände wühlen darin herum. An den bedruckten T-Shirts lassen sich unschwer die Kleiderspenden von Caritas und Konsorten erkennen.
Dann war da der Ausflug ins Restaurant Havanna. Candlelight-Dinner, Inshima, Ifisashi (so heisst das grüne Blattgemüse mit geriebenen Erdnüssen) und Fisch. Also so wie immer – nur das essen ist anders: mit der Hand, so wie es sich hier gehört.
Und es gibt die Kollertage. Tage an denen einfach eine Dusche und ein Stück Käse den Unterschied machen würden. Die Tage an denen man auf dem Weg zum Markt, weil es absolut nichts mehr zu essen im Haus gibt, nicht hören will, dass Elvis wieder halbtot ins Krankenhaus zurückgebracht wurde. Elvis, einer von tausenden HIV-Patienten, den Jana mühevoll davon überzeugt hat, dass er seine Medikamente einnehmen muss. Und an der nächsten Ecke ein Mädchen bitterlich weinen sieht - die Bestätigung folgt im Eckladen: eine Mutter ist unmittelbar nach der Geburt des Kindes gestorben. Dazu muss man sagen: weinende Kinder sind hier eine Rarität und es gibt weiss Gott unzählbar viele davon. Man kann also davon ausgehen, dass ein bitter weinender Mensch hier gerade einen Angehörigen verloren hat.
Sonntagsfrühstück
Der Kirchenbesuch heute morgen ist bereits in weite Ferne gerückt. Die Predigt war sekundär – auf Bemba. Aber die Fröhlichkeit, das Lachen und das Singen waren wohltuend. Der Radiologieassistent, derjenige, der immer die Bilder zum trocknen an die Sonne hängt, ist auch hier der Assistent. Voll stolz präsentiert er seine one and only daughter Theodora. Mit ihrer Frisur gleicht sie einem Pfau mit einer einzigen Feder in Miniatur.
Normalerweise geniessen wir am Sonntag den Garten und die Kirchenmusik zum Frühstück - ein wenig Frieden im Elend.
Aufwärmen
Am Sonntag sind auch meist die lokalen Fussballspiele, leider weiss man nie genau, wann sie beginnen. Halb Kashikishi pilgert nach der Kirche dahin und das bedeutet einen ganzen Rattenschwanz an Prävention: weniger Alkohol für die Männer, weniger geschlagene Frauen, weniger gezeugte Kinder, weniger HIV und was einem sonst noch so einfallen mag.

anders


Diese Eiterbäuche, wenn sie bloss nicht so stinken würden. Da sammeln sich literweise Eiter an, es läuft aus jedem Loch im Bauch. Initial ein Kaiserschnitt, war der Bauch innerhalb von zehn Tagen dreimal schon offen. Nun gibt es kein Gewebe mehr, um den Eingriff nochmals zu wiederholen. Eine Spüldrainage im Bauch, ein T-förmiger Hautschnitt, eine dreifache Antibiotikatherapie. Seit heute ist der drainierende Schlauch verstopft. Nachdem ungefähr zwei Liter Spülflüssigkeit in den Bauch rein und nicht wieder raus sind, hat sich das Spülsystem selbst ins Aus geschossen. Und das war irgendwie die letzte Möglichkeit. Aus der Haut fliesst Eiter, ein ewiger Kampf gegen die Fliegen, der Gestank ist einfach nur grauenvoll. So ruht die Hoffnung auf dem Immunsystem der Patientin und wieder fällt einem das Beten ein. Während den Überlegungen zum wie-weiter, kommt die Hebamme etwas schneller um die Ecke als sonst. Blutung bei Plazenta praevia („Plazenta vor dem Ausgang“).
Emma ist neunzehn Jahre alt, 146cm gross und erwartet ihr erstes Kind. Seit ungefähr vier Wochen ist sie stationär, ungefähr in der 34. Schwangerschaftswoche. Ungefähr, weil die letzte Periode nicht genau bekannt ist und der erste Ultraschall vor vier Wochen erfolgte. In Kashikishi geht es so: nach Möglichkeit Mutter und Kind retten, falls das nicht möglich ist, die Mutter. Ab 1500g Geburtsgewicht haben die Kinder eine reale Überlebenschance. Am Freitag hat der Chefarzt, Doctor Ndui, entschieden noch zuzuwarten. Ndui ist neunundzwanzig Jahre alt, Chefarzt, weil es eben einer machen muss. Ein liebenswerter Kerl, aber mit viel grün hinter den Ohren. Jana nennt ihn ein fröhliches Kind mit Flausen im Kopf. Hierarchien und einzuhaltende Wege gibt es auch hier, genau wie in der Schweiz. Auf das heutige Ereignis wurde mit offenen Armen gewartet, zumindest meinerseits.
Emma sitzt mitten in einem Haufen Koagel, anders kann man das nicht nennen. Die Menschen hier kollabieren in der Regel nicht. Die nette Umschreibung the patient collapsed, bedeutet der Patient ist tot. Jetzt sollt es schnell gehen – warum sie keinen venösen Zugang hat ? Die Frage taucht erst jetzt beim Schreiben wieder auf...im Moment werden einfach zwei neue gelegt. Auf dem Gang wird alles für den OP bereit gemacht. Wehe sie ist nicht rasiert oder die Einwilligung ist nicht unterschrieben (ungefähr Dreiviertel der Unterschriften bestehen aus einem Fingerabdruck, die Analphabetenrate lässt grüssen). Blutdruck messen, nochmals einen Blick auf die Blutung werfen und – power cut. Dunkel wie in einem Kuhmagen. Auch ein Handy-Display spendet Licht. Endlich im OP, ist da kein Anästhesist weit und breit, er trudelt beim Hautverschluss ein. Eine Ladung Ketamin musste genügen. Irgendein Pfleger, der unterwegs aufgelesen wurde, musste spritzen, und darauf achten, dass die Patientin noch lebt. Dr. Radet operiert, ich finde heraus, dass ich auch OPs-Schwester und Assistenz in einem sein kann.
Mutter und Kind geht es nach der Operation, den Umständen entsprechend, gut. Ein ganz normaler Tag hier. Gestern ist eine Frau zwei Tag nach der Geburt ihres Kindes mit einem riesen Zahnabszess gekommen, hat sich hingelegt und ist gestorben. Auch ein normaler Tag hier, einfach anders.

ntumbachushi


Erstmals ein freies Wochenende, das heisst zwei ganze lange Tage. Es ist schwierig sich loszureißen, die Patienten wieder der Willkür zu überlassen. Meist beginnt der Samstag mit einem „nur kurz ins Spital, um nach dem einen Patienten zu sehen und sicherzustellen, dass der im Bett daneben auch seine Medikamente erhält“. Das „einfach nur schnell“ dauert in der Regel mehrere Stunden, weil schnell hier eben einfach nicht geht. Für diesen Sonntag war ein Ausflug zu den Wasserfällen angedacht. Aber Sonntag ist schwierig, denn da geht ganz Afrika zur Kirche. Und wenn Kashikishi möglicherweise auch als gottverlassener Flecken Erde Eingang in diese Erzählungen gefunden haben mag, so muss man doch sagen, dass die Häuser des Herren zahlreich vertreten sind: Katholiken und Protestanten, Pfingstkirche und Zeugen Jehovas streiten sich sozusagen um verlorene Seelen. Lange Rede kurzer Sinn, der Samstag wird auserwählt.
Francis unser Driver, kommt mit einem 4-WD aus dem Spitalfuhrpark. Es ist nicht der Dreck, Gestank oder die Seuchen, auch nicht der fehlende Komfort, die einem hier das Fürchten lehren. Es ist der Verkehr – wobei man nicht weiss, was furchterregender ist: im Auto zu sitzen oder auf der Strasse zu stehen. Die Windschutzscheibe erinnert an eine fette Spinne mit ihrem Netz. Von dort, wo einst der letzte grössere Stein aufgeprallt ist, ziehen sich unterschiedlich dicke Linien durchs Glas. Der Grundsatz ist einfach, alles was bei drei nicht von der Srasse ist, hat Pech gehabt; das gilt für Ziegen und Menschen gleichermassen. Hinten gibt es zwei Längsbänke, anschnallen geht da nicht richtig. Die Finger graben sich immer wieder einmal haltsuchend in die Lehne des Vordersitzes. Zwischendurch gibt es Schwellen, um die Geschwindigkeit zu drosseln und dann gibt es nicht nur Eine, sondern gleich sechs hintereinander. Der Schotter liegt lose, immer wieder lassen einem einschlagende Steine oder eine prekäre Situation zusammenzucken. Es erinnert an eine Fahrt in der Geisterbahn. Nie weiss man, wann der nächste Schreckmoment folgen wird. Zum Glück fährt Francis sicher. Und dann gibt es die schönen Ausblicke in die Weite, unzählige Hütten im hohen Gras unweit der Strasse und eine Gruppe junger Frauen, die uns vor einer Schranke Orangen und geröstete Cassava-Wurzeln verkaufen möchte. Mit zwei Cassava-Toasts und zwei Tüten Groundnuts (Erdnüsse) geht die Fahrt weiter.
Ntumbachushi
Ntumbachushi am Ende einer tiefroten Naturstrasse ist die Aufregung im Verkehr tausendmal wert. Ntumba bedeutet Berg und chushi Nebel, vielleicht beschreibt es auch den feinen Sprühregen des Wasserfalls. Dieser ist achtundzwanzig Meter hoch und sechzig breit, im Moment sind es zwei grössere Wasserfälle, die sich hinunterstürzen. Während der Regenzeit nutzen die Wassermassen die ganze Breite aus. Oberhalb des Hauptwasserfalles gibt es mehrere kleine Kaskaden, zu deren Füssen sich kleine Pools gebildet haben. Süsswasser ohne Parasiten, fliessendes Wasser ohne Ende, Badewanne und Dusche in Einem. Seit mehr als vier Wochen hat das Wort Sauberkeit nicht soviel sauber bedeutet. 
Keine weitere Menschenseele weit und breit, Idylle pur. Bis zu dem Schrei, als ich unerwartet halbnackt einer Gruppe von Afrikanern gegenüberstehe, der Ausrüstung nach, muss es sich um ein sambisches Filmteam handeln. Ein Krokodil hätte mich nicht mehr erschrecken können. Als wäre es das Normalste der Welt, eine kreischende halbnackte Muzungu vor sich zu haben, gehen die Afrikaner stoischen Mutes weiter.
Pascale
Jana
Francis ist in der Zwischenzeit zurückgefahren. Er schaut sich das Fussballspiel Sambia gegen Sudan an. Zweitletztes Spiel der Gruppe für die Qualifikation zur Weltmeisterschaft, Sambia ist Gruppenerster. Er hat eine kleine Tochter und möchte höchstens noch ein weiteres Kind haben. "I want her to be more than I will be" - dieser Satz verlässt meinen Kopf nicht mehr und ich ertappe mich dabei, wie ich bei mir denke, dass "nur" zwei Kinder zu haben hier eine unsichere Sache ist, da man zu bald ohne eines dastehen könnte. Drei scheinen einem auf die sichere Seite zu bringen. Francis möchte gerne Umweltwissenschaften studieren, die Schule hat ihn angenommen, aber eine Teilzeitarbeit im Spital ist nicht möglich. 
Gegen Abend warten wir eine Stunde, bis er uns abholt, zufrieden von Sonne, Wasser und gutem Picknick – halbwegs an die lokalen Zeitangaben gewöhnt. Noch nicht ahnend, dass der Hinweg eine Sonntagsausfahrt war, verglichen mit dem Rückweg bei Nacht. Es gibt keine Mittellinie, das Tempo bewegt sich zwischen 80 und 120km/h. Keine Leitplanken, am Straßenrand stehen und gehen Kinder, Straßenbeleuchtung existiert nicht. Verkehr gibt es zum Glück wenig, so dass die Mitte der Strasse ausgefahren wird. Bei Gegenverkehr wird die fehlende Mittellinie von beiden entgegenkommenden Autos mit den zur Mitte liegenden Blinkern markiert. In dem Moment, in dem sich die Autos kreuzen, ist für kurze Zeit gar nichts zu sehen – nur gleißendes Licht. Keiner hat eine Antwort drauf, warum die riesengrossen Sattelschlepper nur ein Licht haben. Es hilft, den Blick auf die Schemen der Bäume im Gegenlicht des Abends fallen zu lassen. Bilder von angezündeten Feuern vor den Hütten erhaschen zu wollen. Trotzdem ist es schwierig die Strasse ganz aus dem Augenwinkel zu verbannen. Nach allzu kurzer Zeit übernimmt absolute Dunkelheit die Regie, die aufprallenden Steine lassen fragen, ob es sich gleich anhören würde, wenn man mit dem Auto durch Kugelhagel fährt. Diese Assoziation mag den Militärhubschraubern vor einigen Tagen geschuldet sein. Mehrmals sind sie übers Spital hinweggeflogen, offenbar zu einem Flüchtlingslager mit Menschen aus dem Kongo unterwegs.
Nach einem Teller Spaghetti ruft das Bett.