farewell


Abschied nehmen war noch nie eine einfache Sache. Und die Ungewissheit eines sambischen Lebewohls hat mehr Feierlichkeit als zuhause. Ernsthaft wird jedem stets eine gute Reise gewünscht – zuviel Unvorhergesehenes kann unterwegs geschehen, ein Wiedersehen bei voller Gesundheit bleibt ein Gottesgeschenk. 
So ist jede Menge an Gewicht und Herz in diesem kleinen Ort am Ende der rot-staubigen Strasse liegen geblieben. Die letzten T-Shirts und Schuhe verschenkt, der Umweg über den Caritas-Kleidersack gespart. Wann wir wiederkommen - versprechen soll man nur Dinge, die man auch halten kann. Der Unterschied zwischen einem swiss und einem zambian promise. 
Maxon
Jeder nimmt auf seine Weise Abschied – wie das Meiste der letzten Monate kaum in Worte zu fassen. Maxon kommt am Freitag im Kreuzschritt durchs Tor getorkelt, der Rausch hat drei Tage angehalten, vor der Abreise war er nicht mehr nüchtern anzutreffen. Von der Farewell-Party hat er nur wenig miterlebt, obwohl er eigentlich Barbecue-Meister hatte sein wollen.
Und dann gibt es Matildah. Sie hat nach Lucy den Haushalt übernommen und mit ihr ist der gute Geist im Swiss House eingezogen. Immer wieder findet sich eine Tomate oder ein getrockneter Fisch in einer Pfanne oder einer Schüssel versteckt, was vermuten lässt, dass es einer Tradition, die guten Geister ins Haus zu locken, entsprechen mag. Sie danach zu fragen, ist mit vielen anderen Dingen mehr, im Rucksack voll mit guten Absichten stecken geblieben. Oft sitzen ihre Kinder ganz still im Garten, als Zuschauer oder als kleine Helfer; manchmal sitzen sie auch einfach zusammen und bringen die Haare wieder in Form.
Nach Anweisung schnippelt Matildah Tomaten, Kartoffeln und Früchte, bis alles für die kleine Farewell-Party bereit ist. Buns und Würste, Kuchen und Kartoffelsalat und ein halbes Getränkelager türmen sich im Swiss House, das Fest war lustig und eingepackt in diesen Dunst aus Unwirklichkeit, der uns seither nicht zu verlassen scheint. Ein letzter Tanz mit den Nonnen zu sambischer Popmusik, Abschiedsgeschenke die das Herz rühren. Auf sambische Art ist ein Gast nach dem anderen leise verschwunden – hat sich französisch empfohlen. Seither fehlt das Rauschen des Mangobaumes beim einschlafen, das Strahlen all dieser bekannten Gesichter.
Die Ferien haben begonnen, der Wechsel von Kashikishi in die Luxus-Ferienwelt hat dem Wort Kulturschock zum zweiten Mal die Hand gereicht. Die so lang ersehnte Dusche, das vermisste Essen – ihre Bedeutung in Gedanken war gewichtiger. Insbesondere verglichen mit dem im Tausch zurück gelassenen. Immer wieder taucht der Impuls auf, „nach Hause“ zu gehen, von Matildah angestrahlt zu werden und mit dem grünen Plastikkrug das Duschfest zu beginnen. Immer wieder ziehen die Bilder von Patienten am inneren Auge vorbei: Deoglacious (gemeint war Deogracious – das mit der Schreibweise von Namen war auch hier, wie so oft, Glückssache) mit ihrem offenen Bauch, Minivia mit ihrem Darmverschluss, das noch namenlose Baby kurz vor dem Hungertod, Selita mit ihrer schweren Mangelernährung. Nicht wie in der Schweiz in die Hände des Arztes gelegt, der den nächsten Dienst übernimmt. Sondern zurückgelassen mit der Hoffnung, dass es zufällig einer der beiden Ärzte rechtzeitig zu ihnen schafft und jemand von der Pflege Dienst hat, der sich ihrer annimmt – sozusagen ihrem Schicksal überlassen. Und die tägliche Herzlichkeit zu missen tut physisch weh.
Ein Bein in jeder Welt – ein Universum dazwischen.
Mittlerweile liegen zwischen Kashikishi und der gestrigen Ankunft in der Schweiz zehn Tage Staunen und überwältigt sein am anderen Ende der Skala. Auf dem Chobe River getuckert, die Krokodile, die sich in der Sonne wärmen sind unzählbar. Dem mächtigen Zambesi River am Vierländereck - Zambia, Botswana, Namibia und Zimbabwe - die Ehre erwiesen. Die Victoria Falls rufen beim Bestaunen ihrer imposanten Grossartigkeit eine eigenartig berührte Traurigkeit hervor: von Zimbabwe aus mit Sicht auf Zambia und mit dem Wissen, dass die Kashikishi-Bewohner diese Schönheit ihres eigenen Landes nie zu sehen bekommen werden. Und dass in Gesprächen, die sich um einen nächsten Besuch in Zambia drehten, stets mit leuchtenden Augen vorgeschlagen wurde, die Vic Falls zu besuchen. Um auf die Gegenfrage, ob denn schon mit eigenen Augen gesehen stets ein "ah, no" folgen musste.
Natürlich ist es nicht so, dass all diesen Menschen all diese Möglichkeiten auch tatsächlich fehlen - es ist nur so, dass sich die Ungerechtigkeit der Welt, diese monströs grosse Schere zwischen arm und reich, selten so sehr mit Händen greifen lässt. Heute noch das verhungernde Kind im Spital, morgen an einem überfüllten Buffet im Hotel - wie so oft gibt es einen Unterschied zwischen Wissen und mit eigenen Augen zu sehen. Der Magen geht seine eigenen Wege, gewöhnt sich nur langsam wieder an den Überfluss.
Flughafen "in the bush" 
Gleichzeitig liegt etwas wohltuendes darin, die Schönheiten des Kontinentes in seiner ursprünglichsten Form erleben zu dürfen. Stunden unter diesem unendlichen Himmel durchs Land zu fahren, in der die Sonne das Gras zum leuchten bringt und jeder Baum seine eigene Geschichte zu erzählen hat. Unvermittelt vor einer Herde Zebras zu stehen, die Würde der Elefanten beim durchqueren des Wassers zu bestaunen, fünf Meter vor drei Löwinnen und ihren zehn Jungen im Auto zu sitzen. Die Farben der unzähligen Vögel schillern und leuchten zu sehen, den Flug des Marabus zu verfolgen und neben dem Fischadler sein Weibchen zu suchen. Und Menschen zu erleben, die gelernt haben, ihrem Flecken Erde Sorge zu tragen, seine Schätze zu bewahren.
Es ist gut, dass Afrika noch eine weitere Facette erhalten hat und nicht bedingungslos mit Zambia, beziehungsweise Kashikishi, gleichzusetzen ist - das "Land Afrika" gibt es nicht. Das wäre wahrscheinlich so, wie das ländliche Süditalien vor zwanzig Jahren mit der Schweiz zu vergleichen. Der Unterschied zwischen Botswana und Kashikishi entspricht einer Zeitreise von ungefähr fünfzig Jahren.
Kashikishi im Herzen zu tragen - wie einen guten Freund, der durch schwierige Zeiten geht und dem man sich deswegen in Gedanken stark verbunden fühlt. Immer wieder ein Stück des Weges gemeinsam gehen, so zumindest der Wunsch. Und wie auch immer es sich entwickeln mag, Kashikishi würde sagen: "it's just fine the way it is".

hürden


Manchmal scheint es, als würde das Operieren mit Hindernissen in Kashikishi als olympische Disziplin geführt. Die Höhe des Operationstisches wird mit einem Fusspedal verstellt. Das heisst: einmal treten – ruckel-di-ruck – der Tisch bewegt sich nach oben, Stück für Stück. Bis zu dem Tag, als sich der Tisch wunschgemäss nach unten hätte bewegen sollen. Mehrere Versuche ergaben ein Resultat auf Brusthöhe mit der abschliessenden Antwort: „it’s blocked“. Äusserst unangenehm, wenn sich das Kind dann auch noch im Bauch befindet. Zuhause könnte man wenigstens nach einem OP-Schemel rufen. Kann man hier auch, muss sich allerdings zufrieden geben, wenn man auf einer Kartonschachtel, gefüllt mir wabbeligen Infusionslösungen (kein Hartplastik), balancieren muss – den Zweck hat es erfüllt. Nach weiteren Minuten verbreitet sich ein strenger Geruch nach Gas (zumindest für meine Nase). Auf Nachfrage ist zu erfahren, dass es sich um Öl handelt, um den Tisch wieder beweglich werden zu lassen. Der Erfolg während der Operation liess auf sich warten...
Selita, das bereits erwähnte Mädchen mit der Mangelernährung. Sie ist acht Jahre alt und ein wimmerndes Häufchen Elend, unter der Decke versteckt. Haare hat sie keine mehr, die Haut ist unregelmässig pigmentiert. Die offenen Beine scheinen eine leichte Besserung erfahren zu haben, dafür hat sie mittlerweile richtige Dekubiti über den Hüftgelenken (sie hat sich wund gelegen). Die Beine befinden sich in einer dauerhaften Beugestellung, Kontrakturen durch mangelnde Bewegung. Am schlimmsten jedoch ist das linke Auge dran. Unerfahren auf dem Gebiet der Mangelernährung, halten wir das unter dem Lidödem Verborgene für eine Augenentzündung. Bis uns das Auge buchstäblich entgegenfliesst – die Hornhaut hat sich aufgelöst. Es gibt Dinge, die möchte man einmal und nie wieder sehen. Und wäre es möglich, würde man gerne auch das Einmal aus den Gedanken streichen.
Es gibt sogar eine Ernährungsberatung im Spital, the nutritionist. Er verschreibt Diäten und kümmert sich um adäquate Nahrungsmittel. Leider beträgt sein Budget ca hundert Franken im Monat, einen Viertel, von dem was er bräuchte. Die Kinder erhalten dann eine kalorienreiche Nahrung aus weissem Zucker, UHT-Milch, und einem billigen Pflanzenöl, sowie Vitamintabletten. Für grössere Kinder völlig unzureichend, ebenso die Qualität.
In den Monaten November und Dezember nimmt das Problem der unterernährten Kinder deutlich zu, da die Eltern den ganzen Tag auf dem Feld verbringen und die Kinder bis auf ein Frühstück einfach nichts zu essen erhalten. Das Frühstück besteht in der Regel aus Nshima, jedoch aus der billigen Version mit Cassavamehl (anstelle von Mais), welches einen äusserst geringen Nährwert besitzt. Die Landwirtschaft wird für den Eigenbedarf betrieben, alles geht von der Hand in den Mund, oder wird auf dem Markt getauscht. Das Aufpäppeln im Spital ist oft eine Sisyphus-Orgie, da den Eltern nebst der mangelnden Zeit auch meist zu wenig Geld für eine gute Ernährung zur Verfügung steht und sich nach der Entlassung in vielen Fällen wieder de vorherige Ernährungsweise einstellt - je nach Eltern. Trotzdem ist es unmöglich, nicht jeden Tag einen kleinen Umweg über die Kinderabteilung zu nehmen und dort einige Bananen, eine Avocado, oder ein wenig Reis zurück zu lassen.
Der Kontakt mit dieser Problematik hat sich meinerseits in Grenzen gehalten, die Kinderabteilung befindet sich ausserhalb meines normalen alltäglichen Radius. Trotzdem hat heute der Anblick einer Dose mit Nestle-Säuglingsmilchpulver ein wahres Glücksgefühl ausgelöst – muss man sich erst einmal träumen lassen. Ein Geburtsgewicht von 2,8kg, drei Wochen später kommt das Kind mit einem Gewicht von 1,7kg – ein Bündel aus Haut und Knochen mit einer schweinchenrosa Beule auf der grossen Fontanelle und diversen Schnüren inklusive Amulett um den Hals. Die Mutter hat das Kind bisher bei einem traditional healer behandeln lassen. Die rosa Beule hat sich als aufgetragene Seife, um die eingefallene Fontanelle (Zeichen für Flüssigkeitsmangel) wieder eben zu machen, entpuppt. Das um den Hals gelegte Amulett und die Schnüre haben die Haut wund gescheuert. Die Muttermilch scheint zu wenig - genauere Information konnten nicht gewonnen werden.
Im ganzen Spital kein Milchpulver um zu zufüttern, die Mutter kann sich selber keines leisten. Eine Dose kostet soviel wie dreissig Eier. Man suche also einen willigen Studenten, drücke ihm dreissig Kwacha in die Hand und schicke ihn auf einen ungefähr stündigen Spaziergang zum old market, um eine Dose Milchpulver zu kaufen. Das Kind trinkt fleissig, zuviel kommt wieder retour. Möge Nestlé das Wunder vollbringen.


mutomboko


Ein kulturell voll beladenes Wochenende ist vorbei gezogen und seither sind die Abende im Zeichen des nahenden Abschieds reich gefüllt. Am Samstag hat in Kazembe das alljährliche Mutomboko stattgefunden. http://umutomboko.homestead.com 
Chief
Das Oberhaupt der Lunda, kurz Chief genannt, feiert in einer traditionellen Zeremonie den Sieg seines Stammes, zur Zeit als die Lunda über den Fluss Luapula nach Sambia eingewandert sind. Mwata Kazembe, der Chief, wird von Schrein zu Schrein eskortiert, um den Geistern seiner Ahnen zu huldigen. Essen wird in den Fluss geworfen, um die Gemüter der einst ermordeten Häuptlingskinder zu besänftigen. Alles begleitet von ohrenbetäubenden Gewehrschüssen aus nächster Nähe und einer riesigen Menschenmenge.
Subchief
Eine Menschenkette aus Soldaten der sambischen Armee hält die Massen im Zaume. Alles verschwindet in Dichten Wolken von Staub. Im Palastgarten, der Palast ist ein besseres Backsteinhaus, stolziert ein Pfau, tummeln sich die hässlichen Tiere mit dem Namen Truthahn. 
Mary
Mehrere Subchiefs mit farbenfrohem Kopfschmuck und zerfurchten Gesichtern sind zu bestaunen, ein Sehen und zum Teil auch gesehen werden. Zum Beispiel Mary, die Chairlady der Patriotic Front in Mansa, eine demokratisch-sozialistische politische Partei von Sambia.
Der weitere Tag wird grösstenteils mit Warten auf das wichtigste Ereignis, den Tanz des Chiefs, verbracht. Unverhofft in Begleitung unserer Nachbarn, zwei jungen katholischen Priestern, die dem ganzen Tag das Besondere verleihen, was er sonst missen lässt.
Einem europäischen Stadtfest ähnlich, gibt es an jeder Ecke etwas zu essen, das Bier fliesst in rauhen Mengen. Einer der Priester erzählt, dass zwanzig Tausend Kondome verteilt wurden – das lässt hoffen...
Zuschauer
Der Siegestanz in der Arena schwindet in endlosen Reden von Politikern und anderen wichtigen Personen dahin. Die scheppernde Musikanlage und das Meer aus Werbebannern der verschiedenen sambischen Telefongesellschaften stehlen dem Anlass das letzte Bisschen Tradition und Würde.
noch mehr Zuschauer
Man ertappt sich dabei, als Fremder zu meinen, auch den letzten Rest an Kultur mit grossem oh und ah bestaunen zu müssen, was zugegebenermaßen schwerfällt. Um so befreiender ist es im Spital zu hören, dass die meisten den Event aus den gleichen Gründen einmal und nie wieder besucht haben.
Und auch umso schöner ist der Sonntag mit dem Gottesdienst und der Feier zu Ehren der neu geweihten Priester ausgefallen. Kurzerhand wurde draussen eine Openair-Kirche gezimmert. Am Nachmittag
my father...
wurde im kleinen Rahmen weitergefeiert, aufgezogen wie eine Hochzeit: die Vermählung der Priester mit Gott. Höhepunkte waren die tanzenden Nonnen und heiligen Väter (Erinnerungen an Sister Act kommen auf), sowie das Anschneiden einer Torte durch die frisch ordinierten Priester als Paar mit Jana’s Kommentar: „auf einem Foto würde man jetzt an ein gay wedding denken“.
...und nochmals: im Amt
In katholischen Priestern zwei gute Freunde zu finden, gehört sicher zu den am wenigsten erwarteten Begebenheiten dieses Abenteuers. Ihre Offenheit gegenüber all den kritischen Fragen zur Kirche und ihre Fähigkeit zur Diskussion über Glauben und das Leben überhaupt, gepaart mit einer Unmenge Humor, lassen jede Weltfremdheit missen. 
Wahrscheinlich geschieht es nicht jeden Tag, dass der soeben am Strassenrand ruinierte Flip Flop mit im Staub gesuchtem und gefundenem Draht durch „my father“ repariert wird. Leise lässt sich ahnen, wie eine Begegnung mit der Kirche auch sein könnte: eine bereichernde Kultur, die mit Fröhlichkeit den Alltag beglückt. Zugegeben, daheim schwer vorstellbar.



die Bibel singt sich zum Altar


vielerlei


Diese Woche nach dem Ausflug nach Mansa ist nur so dahingeflogen. Mit allerlei Geschichten und Bildern - mit schönen und weniger schönen.
Eine Frau, die nach einer Vergewaltigung ausgesehen hat, als hätte sie mit einem wildgewordenen Tier gekämpft: mehrere Bisswunden und das eine Auge blau zugeschwollen. Eine Anzeige bei der Polizei hat sie gemacht und auf die Frage, ob sie noch etwas wissen möchte, meint sie: „Madam, the bible says to forgive...“ oh ja klar, immer und alles – unerwartet erweitert sich das Spektrum der psychologischen Betreuung auf die Auslegung der Bibel. Die Nachfrage ergibt, dass die Frau von den Angehörigen des Mannes gebeten/gedrängt wurde, die Anzeige zurück zu ziehen. Es folgt der Versuch, die Vergebung auf die eigenen Gefühle zu lenken, um irgendwann vielleicht den Hass, den Ekel und die Angst loszuwerden oder umwandeln zu können. Die versuchte Erklärung, dass der Mann, der ihr das angetan hat, seine eigene Vergebung finden muss. Ohne dass dies die Tat in irgendeiner Weise rechtfertigen oder die Strafe aufheben würde. Im Hinterkopf tauchen Bilder an das „C.S.I-Miami-Kit“ in der Schweiz auf, wo den Patientinnen in einer zweistündigen Prozedur mit diversen Tupfern und Stäbchen Gewebeproben an allen mögliche Körperstellen nach genauem Protokoll, fein säuberlich in einer Schachtel numeriert und mit Siegeln verschlossen, entnommen werden – einmal mehr kommt der Gedanke an ein Paralleluniversum auf.
Der Glaube hier hat hier einen enormen Stellenwert. Es gibt keinen Menschen, der nicht regelmässig zur Kirche gehen würde. Zudem werden Frauen nach Vergewaltigungen oft von ihren Ehemännern verstossen, wobei nicht selten der Ehemann selbst, manchmal auch der Vater, der Täter ist. Offiziell ist es auch in Sambia verboten – dennoch scheint es noch immer eine sehr breite Grauzone zu geben, inklusive Korruption bei der Polizei.
Kim hat heute ein Mädchen gesehen, dass regelmässig epileptische Anfälle zu haben scheint und wegen Schmerzen, Schwellungen und massiven blauen Flecken am ganzen Körper ins Ambulatorium gekommen ist. Sie hat erzählt, dass sie zwei Mal pro Woche Krampfanfälle hat, weil sie von einem Dämon besucht wird. Um diesen zu vertreiben, wird sie jedes Mal von der ganzen Familie geschlagen - so fest es eben geht.
Diese Woche haben wieder die sechzehnjährigen Mütter das Zepter übernommen. Eine davon hat eine Beckenendlage geboren (Primipara), weil die Instrumente noch alle sterilisiert werden mussten und als sie dann endlich fertig waren, war der Fuss auch schon da - alles gut gegangen. Aus dem selben Grund wurde eine andere Patientin abends um acht mit Darmverschluss circa zwei Wochen nach Kaiserschnitt operiert, ein Bridenileus. Alles gut bis zur Perforation des Darmes. Kurz vor Mitternacht fertig – Operation und Team. Die verordnete Magensonde ist am nächsten Mittag noch nicht aufgetaucht, eine stündige Wanderung durchs Spital bringt schlussendlich doch noch Erfolg.
Zwei Mal Sectio wegen Eklampsie, zwei Mal gut gegangen. Die Schonfrist ist vorbei, die OP-Assistenz besteht aus zwei nurse students anfangs zweites Jahr - das erste Jahr besteht nur aus Theorie. Die Diagnostik besteht aus dem beobachteten Krampfanfall und einem zu hohen Blutdruck, sowie allenfalls weiterer Klinik. Je nach Tageszeit und Möglichkeiten des Labors lässt sich auch noch eine Proteinurie nachweisen. Dann gibt es in jede Pohälfte 2,5g Magnesiumsulfat und wenn es sehr schnell geht, nach fünfundvierzig Minuten die Sectio. Chemielabor war bisher zu keiner Zeit möglich.
Im medical ward hat sich eine Familie mit Pflanzenschutzmittel im Nshima vergiftet. Der Vater und zwei Kinder sind gestorben, die Mutter und ein weiterer Sohn scheinen es über den Berg geschafft zu haben.
Ein Kind wird mit schwerster Mangelernährung aufgenommen. Mögen die Hungerbäuche noch Mitleid hervorrufen, so ist das hier nur ein Bild des Grauens: Haarausfall, offene Beine und der Gestank von verderbendem Fleisch – wie immer von einem Schwarm Fliegen begleitet. Am liebsten möchte man einfach nur das Weite suchen.
Nebenbei der Versuch ein kleines Abschiedsfest zu organisieren – natürlich im afrikanischen Rhythmus.
Auf dem Heimweg die Begegnung mit zwei Kindern, die je ein Meerschweinchen tragen. Seither das Wissen, dass diese auch zum sambischen Speiseplan gehören. Lautes Lachen als Patricia erfährt, dass Meerschweinchen in Europa als Haustiere gehalten werden.
Wahrscheinlich sind in diesem Wochenrückblick noch einige Dinge unter den Tisch gefallen. Manchmal ist einfach die Dichte zu gross.

mansa


Ein kleiner Ausflug in die Zivilisation. Vier Stunden Autofahrt bis nach Mansa, in denen sich Ziegen als Verkehrsteilnehmer studieren lassen. Abbremsen, Hupen und dann warten bis sich auch die Letzte der Gruppe dazu entscheiden kann, von ihrem gerade so köstlichen Blättchen abzulassen um kurz vor der Frontalkollision noch die Strassenseite zu wechseln.
handgemalte Werbung in Mansa
Die Fahrt geht durch den frühen Morgen, freundlicherweise in Mr. und Mrs. Chiwala’s äusserst feudalem Auto. Unterwegs wird immer einmal wieder angehalten, um jemanden ein Stück des Weges mitzunehmen. Die Polizei errichtet kurzerhand eine Strassensperre, da zwei weibliche police officers eine Mitfahrgelegenheit in den nächsten Ort benötigen.
Mansa ist eine richtige kleine Stadt und Teja Lodge tatsächlich eine kleine Hotelanlage mit Pool ohne Wasser. Es gibt einen richtigen Supermarkt mit Karotten und einer Kasse und vielem vielem mehr...der durchschnittliche Körperumfang in Mansa beträgt ungefähr das Doppelte von dem in Kashikishi.
Abends im Hotel für einmal das umgekehrte Problem: das Licht will nicht ausgehen, egal welche Schalter und welche Knopfkombinationen auch gedrückt werden. Innerhalb einer Stunde wird zum dritten Mal die Rezeption kontaktiert. Nach Reparatur des kaputten Bettes und Versorgung mit einem zweiten Moskitonetzes erfolgt nun die Instruktion bezüglich Licht löschen. Der Dimmer mitten im Zimmer (ein durchdrehendes Rädchen) muss in eine spezielle Position gebracht werden, damit mit dem Schalter das Licht gelöscht werden kann. Die Vorstellung, nach all den vielen Stunden power cut die Nacht bei hell brennendem Licht zu verbringen, hat was für sich. Aus der Wand kommt ein Rinnsal an warmem Wasser...alles kaum zu glauben und und dem Paradies erstaunlich nahe.
auf dem Markt
Der Markt in Mansa weckt ferne Erinnerungen an die Gässchen der Old City in Jerusalem. Vielfach verwinkelt und verzweigt, bis sich das Eine im Anderen verliert. Es ist, als hätten sie das Kleid der Armut übergestreift und so ziehen die Ähnlichkeitsgedanken schnell weiter, um sich bald vollständig aufzulösen.
Noch einmal übrigens Blessings: es geht ihr gut, mit eigenen Augen im Mansa General Hospital gesehen. 
Patientenaufnahme Mansa General
Hospital
Der Besuch im Spital da, war auch eine lustige Erfahrung. Es lässt sich nämlich einfach reinspazieren und alles inspizieren, was einem so einfällt. Im Falle eines fragenden Blickes trällere man einfach das landesübliche „how are you“ und schon ist man in ein Gespräch verwickelt, wird durch Patientenzimmer geführt, sieht die Küche, in der die unter- und mangelernährten Kinder bekocht werden, darf nach einem Schuhwechsel im OPs mal kurz die saubere Toilette benutzen, und steht eben zum Schluss in Blessings Zimmer. Dieses Strahlen auf ihrem Gesicht hätte man einfangen sollen, um es für die Ewigkeit zu bewahren - selten hat Freude so geleuchtet.
auf den Bus warten
Die Busfahrt zurück nach Kashikishi, war so, wie man es sich wahrscheinlich vorstellt (Abfahrt mit knapp drei Stunden Verspätung): überquellende Mengen an Menschen und Gepäck, fünf Sitze in einer Reihe, der Gang wird zur zusätzlichen Gepäckablage umfunktioniert.
Eine Matratze hängt von einer Gepäckablage zu anderen über unseren Köpfen. Wie immer kann man nicht umhin, die unglaublich zufriedenen und ruhigen Kinder zu bestaunen. Stück für Stück werden unterwegs die Menschen mit ihren neu erworbenen Gütern am Strassenrand abgesetzt. 
Die Weite des Landes fliegt am Fenster vorbei, verzaubert mit dem Anblick von grasgedeckten Hütten im Schein der schwindenden Sonne, wie immer geht das Herz weit auf. Bei jedem Stopp wird eine gefühlte Tonne Staub durchs Fenster gewirbelt, die saubere Dusche ist schon wieder weit weit weg.
Vielleicht wäre es etwas erträglicher gewesen, hätte alle paar Wochen ein Ausflug nach Mansa unseren Kühlschrank bereichert – man kann sich wahrscheinlich nicht vorstellen, was für einen Unterschied es macht, eine Karotte und ein Stück Cheddar essen zu können: Glücksgefühl pur.
Mansa zu sehen hat auch Sambia’s Gesicht neu Züge verliehen. Waren Sambia und Kashikishi vorher doch untrennbar Eines. Immer mit dem Gefühl verbunden, diesem Land und besonders den Menschen hier nicht gerecht zu werden. Viele von den Menschen, die wir hier kennen, werden arbeitsbedingt nach Kashikishi zwangs-versetzt und wünschen sich weit weg von hier, weg von dieser ländlichen Armut und der nicht vorhandenen Bildung.
Kurz vor der Haustür erklingen einmal mehr die Totenklagen: welcome home.