vielerlei


Diese Woche nach dem Ausflug nach Mansa ist nur so dahingeflogen. Mit allerlei Geschichten und Bildern - mit schönen und weniger schönen.
Eine Frau, die nach einer Vergewaltigung ausgesehen hat, als hätte sie mit einem wildgewordenen Tier gekämpft: mehrere Bisswunden und das eine Auge blau zugeschwollen. Eine Anzeige bei der Polizei hat sie gemacht und auf die Frage, ob sie noch etwas wissen möchte, meint sie: „Madam, the bible says to forgive...“ oh ja klar, immer und alles – unerwartet erweitert sich das Spektrum der psychologischen Betreuung auf die Auslegung der Bibel. Die Nachfrage ergibt, dass die Frau von den Angehörigen des Mannes gebeten/gedrängt wurde, die Anzeige zurück zu ziehen. Es folgt der Versuch, die Vergebung auf die eigenen Gefühle zu lenken, um irgendwann vielleicht den Hass, den Ekel und die Angst loszuwerden oder umwandeln zu können. Die versuchte Erklärung, dass der Mann, der ihr das angetan hat, seine eigene Vergebung finden muss. Ohne dass dies die Tat in irgendeiner Weise rechtfertigen oder die Strafe aufheben würde. Im Hinterkopf tauchen Bilder an das „C.S.I-Miami-Kit“ in der Schweiz auf, wo den Patientinnen in einer zweistündigen Prozedur mit diversen Tupfern und Stäbchen Gewebeproben an allen mögliche Körperstellen nach genauem Protokoll, fein säuberlich in einer Schachtel numeriert und mit Siegeln verschlossen, entnommen werden – einmal mehr kommt der Gedanke an ein Paralleluniversum auf.
Der Glaube hier hat hier einen enormen Stellenwert. Es gibt keinen Menschen, der nicht regelmässig zur Kirche gehen würde. Zudem werden Frauen nach Vergewaltigungen oft von ihren Ehemännern verstossen, wobei nicht selten der Ehemann selbst, manchmal auch der Vater, der Täter ist. Offiziell ist es auch in Sambia verboten – dennoch scheint es noch immer eine sehr breite Grauzone zu geben, inklusive Korruption bei der Polizei.
Kim hat heute ein Mädchen gesehen, dass regelmässig epileptische Anfälle zu haben scheint und wegen Schmerzen, Schwellungen und massiven blauen Flecken am ganzen Körper ins Ambulatorium gekommen ist. Sie hat erzählt, dass sie zwei Mal pro Woche Krampfanfälle hat, weil sie von einem Dämon besucht wird. Um diesen zu vertreiben, wird sie jedes Mal von der ganzen Familie geschlagen - so fest es eben geht.
Diese Woche haben wieder die sechzehnjährigen Mütter das Zepter übernommen. Eine davon hat eine Beckenendlage geboren (Primipara), weil die Instrumente noch alle sterilisiert werden mussten und als sie dann endlich fertig waren, war der Fuss auch schon da - alles gut gegangen. Aus dem selben Grund wurde eine andere Patientin abends um acht mit Darmverschluss circa zwei Wochen nach Kaiserschnitt operiert, ein Bridenileus. Alles gut bis zur Perforation des Darmes. Kurz vor Mitternacht fertig – Operation und Team. Die verordnete Magensonde ist am nächsten Mittag noch nicht aufgetaucht, eine stündige Wanderung durchs Spital bringt schlussendlich doch noch Erfolg.
Zwei Mal Sectio wegen Eklampsie, zwei Mal gut gegangen. Die Schonfrist ist vorbei, die OP-Assistenz besteht aus zwei nurse students anfangs zweites Jahr - das erste Jahr besteht nur aus Theorie. Die Diagnostik besteht aus dem beobachteten Krampfanfall und einem zu hohen Blutdruck, sowie allenfalls weiterer Klinik. Je nach Tageszeit und Möglichkeiten des Labors lässt sich auch noch eine Proteinurie nachweisen. Dann gibt es in jede Pohälfte 2,5g Magnesiumsulfat und wenn es sehr schnell geht, nach fünfundvierzig Minuten die Sectio. Chemielabor war bisher zu keiner Zeit möglich.
Im medical ward hat sich eine Familie mit Pflanzenschutzmittel im Nshima vergiftet. Der Vater und zwei Kinder sind gestorben, die Mutter und ein weiterer Sohn scheinen es über den Berg geschafft zu haben.
Ein Kind wird mit schwerster Mangelernährung aufgenommen. Mögen die Hungerbäuche noch Mitleid hervorrufen, so ist das hier nur ein Bild des Grauens: Haarausfall, offene Beine und der Gestank von verderbendem Fleisch – wie immer von einem Schwarm Fliegen begleitet. Am liebsten möchte man einfach nur das Weite suchen.
Nebenbei der Versuch ein kleines Abschiedsfest zu organisieren – natürlich im afrikanischen Rhythmus.
Auf dem Heimweg die Begegnung mit zwei Kindern, die je ein Meerschweinchen tragen. Seither das Wissen, dass diese auch zum sambischen Speiseplan gehören. Lautes Lachen als Patricia erfährt, dass Meerschweinchen in Europa als Haustiere gehalten werden.
Wahrscheinlich sind in diesem Wochenrückblick noch einige Dinge unter den Tisch gefallen. Manchmal ist einfach die Dichte zu gross.