hürden


Manchmal scheint es, als würde das Operieren mit Hindernissen in Kashikishi als olympische Disziplin geführt. Die Höhe des Operationstisches wird mit einem Fusspedal verstellt. Das heisst: einmal treten – ruckel-di-ruck – der Tisch bewegt sich nach oben, Stück für Stück. Bis zu dem Tag, als sich der Tisch wunschgemäss nach unten hätte bewegen sollen. Mehrere Versuche ergaben ein Resultat auf Brusthöhe mit der abschliessenden Antwort: „it’s blocked“. Äusserst unangenehm, wenn sich das Kind dann auch noch im Bauch befindet. Zuhause könnte man wenigstens nach einem OP-Schemel rufen. Kann man hier auch, muss sich allerdings zufrieden geben, wenn man auf einer Kartonschachtel, gefüllt mir wabbeligen Infusionslösungen (kein Hartplastik), balancieren muss – den Zweck hat es erfüllt. Nach weiteren Minuten verbreitet sich ein strenger Geruch nach Gas (zumindest für meine Nase). Auf Nachfrage ist zu erfahren, dass es sich um Öl handelt, um den Tisch wieder beweglich werden zu lassen. Der Erfolg während der Operation liess auf sich warten...
Selita, das bereits erwähnte Mädchen mit der Mangelernährung. Sie ist acht Jahre alt und ein wimmerndes Häufchen Elend, unter der Decke versteckt. Haare hat sie keine mehr, die Haut ist unregelmässig pigmentiert. Die offenen Beine scheinen eine leichte Besserung erfahren zu haben, dafür hat sie mittlerweile richtige Dekubiti über den Hüftgelenken (sie hat sich wund gelegen). Die Beine befinden sich in einer dauerhaften Beugestellung, Kontrakturen durch mangelnde Bewegung. Am schlimmsten jedoch ist das linke Auge dran. Unerfahren auf dem Gebiet der Mangelernährung, halten wir das unter dem Lidödem Verborgene für eine Augenentzündung. Bis uns das Auge buchstäblich entgegenfliesst – die Hornhaut hat sich aufgelöst. Es gibt Dinge, die möchte man einmal und nie wieder sehen. Und wäre es möglich, würde man gerne auch das Einmal aus den Gedanken streichen.
Es gibt sogar eine Ernährungsberatung im Spital, the nutritionist. Er verschreibt Diäten und kümmert sich um adäquate Nahrungsmittel. Leider beträgt sein Budget ca hundert Franken im Monat, einen Viertel, von dem was er bräuchte. Die Kinder erhalten dann eine kalorienreiche Nahrung aus weissem Zucker, UHT-Milch, und einem billigen Pflanzenöl, sowie Vitamintabletten. Für grössere Kinder völlig unzureichend, ebenso die Qualität.
In den Monaten November und Dezember nimmt das Problem der unterernährten Kinder deutlich zu, da die Eltern den ganzen Tag auf dem Feld verbringen und die Kinder bis auf ein Frühstück einfach nichts zu essen erhalten. Das Frühstück besteht in der Regel aus Nshima, jedoch aus der billigen Version mit Cassavamehl (anstelle von Mais), welches einen äusserst geringen Nährwert besitzt. Die Landwirtschaft wird für den Eigenbedarf betrieben, alles geht von der Hand in den Mund, oder wird auf dem Markt getauscht. Das Aufpäppeln im Spital ist oft eine Sisyphus-Orgie, da den Eltern nebst der mangelnden Zeit auch meist zu wenig Geld für eine gute Ernährung zur Verfügung steht und sich nach der Entlassung in vielen Fällen wieder de vorherige Ernährungsweise einstellt - je nach Eltern. Trotzdem ist es unmöglich, nicht jeden Tag einen kleinen Umweg über die Kinderabteilung zu nehmen und dort einige Bananen, eine Avocado, oder ein wenig Reis zurück zu lassen.
Der Kontakt mit dieser Problematik hat sich meinerseits in Grenzen gehalten, die Kinderabteilung befindet sich ausserhalb meines normalen alltäglichen Radius. Trotzdem hat heute der Anblick einer Dose mit Nestle-Säuglingsmilchpulver ein wahres Glücksgefühl ausgelöst – muss man sich erst einmal träumen lassen. Ein Geburtsgewicht von 2,8kg, drei Wochen später kommt das Kind mit einem Gewicht von 1,7kg – ein Bündel aus Haut und Knochen mit einer schweinchenrosa Beule auf der grossen Fontanelle und diversen Schnüren inklusive Amulett um den Hals. Die Mutter hat das Kind bisher bei einem traditional healer behandeln lassen. Die rosa Beule hat sich als aufgetragene Seife, um die eingefallene Fontanelle (Zeichen für Flüssigkeitsmangel) wieder eben zu machen, entpuppt. Das um den Hals gelegte Amulett und die Schnüre haben die Haut wund gescheuert. Die Muttermilch scheint zu wenig - genauere Information konnten nicht gewonnen werden.
Im ganzen Spital kein Milchpulver um zu zufüttern, die Mutter kann sich selber keines leisten. Eine Dose kostet soviel wie dreissig Eier. Man suche also einen willigen Studenten, drücke ihm dreissig Kwacha in die Hand und schicke ihn auf einen ungefähr stündigen Spaziergang zum old market, um eine Dose Milchpulver zu kaufen. Das Kind trinkt fleissig, zuviel kommt wieder retour. Möge Nestlé das Wunder vollbringen.