farewell


Abschied nehmen war noch nie eine einfache Sache. Und die Ungewissheit eines sambischen Lebewohls hat mehr Feierlichkeit als zuhause. Ernsthaft wird jedem stets eine gute Reise gewünscht – zuviel Unvorhergesehenes kann unterwegs geschehen, ein Wiedersehen bei voller Gesundheit bleibt ein Gottesgeschenk. 
So ist jede Menge an Gewicht und Herz in diesem kleinen Ort am Ende der rot-staubigen Strasse liegen geblieben. Die letzten T-Shirts und Schuhe verschenkt, der Umweg über den Caritas-Kleidersack gespart. Wann wir wiederkommen - versprechen soll man nur Dinge, die man auch halten kann. Der Unterschied zwischen einem swiss und einem zambian promise. 
Maxon
Jeder nimmt auf seine Weise Abschied – wie das Meiste der letzten Monate kaum in Worte zu fassen. Maxon kommt am Freitag im Kreuzschritt durchs Tor getorkelt, der Rausch hat drei Tage angehalten, vor der Abreise war er nicht mehr nüchtern anzutreffen. Von der Farewell-Party hat er nur wenig miterlebt, obwohl er eigentlich Barbecue-Meister hatte sein wollen.
Und dann gibt es Matildah. Sie hat nach Lucy den Haushalt übernommen und mit ihr ist der gute Geist im Swiss House eingezogen. Immer wieder findet sich eine Tomate oder ein getrockneter Fisch in einer Pfanne oder einer Schüssel versteckt, was vermuten lässt, dass es einer Tradition, die guten Geister ins Haus zu locken, entsprechen mag. Sie danach zu fragen, ist mit vielen anderen Dingen mehr, im Rucksack voll mit guten Absichten stecken geblieben. Oft sitzen ihre Kinder ganz still im Garten, als Zuschauer oder als kleine Helfer; manchmal sitzen sie auch einfach zusammen und bringen die Haare wieder in Form.
Nach Anweisung schnippelt Matildah Tomaten, Kartoffeln und Früchte, bis alles für die kleine Farewell-Party bereit ist. Buns und Würste, Kuchen und Kartoffelsalat und ein halbes Getränkelager türmen sich im Swiss House, das Fest war lustig und eingepackt in diesen Dunst aus Unwirklichkeit, der uns seither nicht zu verlassen scheint. Ein letzter Tanz mit den Nonnen zu sambischer Popmusik, Abschiedsgeschenke die das Herz rühren. Auf sambische Art ist ein Gast nach dem anderen leise verschwunden – hat sich französisch empfohlen. Seither fehlt das Rauschen des Mangobaumes beim einschlafen, das Strahlen all dieser bekannten Gesichter.
Die Ferien haben begonnen, der Wechsel von Kashikishi in die Luxus-Ferienwelt hat dem Wort Kulturschock zum zweiten Mal die Hand gereicht. Die so lang ersehnte Dusche, das vermisste Essen – ihre Bedeutung in Gedanken war gewichtiger. Insbesondere verglichen mit dem im Tausch zurück gelassenen. Immer wieder taucht der Impuls auf, „nach Hause“ zu gehen, von Matildah angestrahlt zu werden und mit dem grünen Plastikkrug das Duschfest zu beginnen. Immer wieder ziehen die Bilder von Patienten am inneren Auge vorbei: Deoglacious (gemeint war Deogracious – das mit der Schreibweise von Namen war auch hier, wie so oft, Glückssache) mit ihrem offenen Bauch, Minivia mit ihrem Darmverschluss, das noch namenlose Baby kurz vor dem Hungertod, Selita mit ihrer schweren Mangelernährung. Nicht wie in der Schweiz in die Hände des Arztes gelegt, der den nächsten Dienst übernimmt. Sondern zurückgelassen mit der Hoffnung, dass es zufällig einer der beiden Ärzte rechtzeitig zu ihnen schafft und jemand von der Pflege Dienst hat, der sich ihrer annimmt – sozusagen ihrem Schicksal überlassen. Und die tägliche Herzlichkeit zu missen tut physisch weh.
Ein Bein in jeder Welt – ein Universum dazwischen.
Mittlerweile liegen zwischen Kashikishi und der gestrigen Ankunft in der Schweiz zehn Tage Staunen und überwältigt sein am anderen Ende der Skala. Auf dem Chobe River getuckert, die Krokodile, die sich in der Sonne wärmen sind unzählbar. Dem mächtigen Zambesi River am Vierländereck - Zambia, Botswana, Namibia und Zimbabwe - die Ehre erwiesen. Die Victoria Falls rufen beim Bestaunen ihrer imposanten Grossartigkeit eine eigenartig berührte Traurigkeit hervor: von Zimbabwe aus mit Sicht auf Zambia und mit dem Wissen, dass die Kashikishi-Bewohner diese Schönheit ihres eigenen Landes nie zu sehen bekommen werden. Und dass in Gesprächen, die sich um einen nächsten Besuch in Zambia drehten, stets mit leuchtenden Augen vorgeschlagen wurde, die Vic Falls zu besuchen. Um auf die Gegenfrage, ob denn schon mit eigenen Augen gesehen stets ein "ah, no" folgen musste.
Natürlich ist es nicht so, dass all diesen Menschen all diese Möglichkeiten auch tatsächlich fehlen - es ist nur so, dass sich die Ungerechtigkeit der Welt, diese monströs grosse Schere zwischen arm und reich, selten so sehr mit Händen greifen lässt. Heute noch das verhungernde Kind im Spital, morgen an einem überfüllten Buffet im Hotel - wie so oft gibt es einen Unterschied zwischen Wissen und mit eigenen Augen zu sehen. Der Magen geht seine eigenen Wege, gewöhnt sich nur langsam wieder an den Überfluss.
Flughafen "in the bush" 
Gleichzeitig liegt etwas wohltuendes darin, die Schönheiten des Kontinentes in seiner ursprünglichsten Form erleben zu dürfen. Stunden unter diesem unendlichen Himmel durchs Land zu fahren, in der die Sonne das Gras zum leuchten bringt und jeder Baum seine eigene Geschichte zu erzählen hat. Unvermittelt vor einer Herde Zebras zu stehen, die Würde der Elefanten beim durchqueren des Wassers zu bestaunen, fünf Meter vor drei Löwinnen und ihren zehn Jungen im Auto zu sitzen. Die Farben der unzähligen Vögel schillern und leuchten zu sehen, den Flug des Marabus zu verfolgen und neben dem Fischadler sein Weibchen zu suchen. Und Menschen zu erleben, die gelernt haben, ihrem Flecken Erde Sorge zu tragen, seine Schätze zu bewahren.
Es ist gut, dass Afrika noch eine weitere Facette erhalten hat und nicht bedingungslos mit Zambia, beziehungsweise Kashikishi, gleichzusetzen ist - das "Land Afrika" gibt es nicht. Das wäre wahrscheinlich so, wie das ländliche Süditalien vor zwanzig Jahren mit der Schweiz zu vergleichen. Der Unterschied zwischen Botswana und Kashikishi entspricht einer Zeitreise von ungefähr fünfzig Jahren.
Kashikishi im Herzen zu tragen - wie einen guten Freund, der durch schwierige Zeiten geht und dem man sich deswegen in Gedanken stark verbunden fühlt. Immer wieder ein Stück des Weges gemeinsam gehen, so zumindest der Wunsch. Und wie auch immer es sich entwickeln mag, Kashikishi würde sagen: "it's just fine the way it is".