beerdigung


Ein Lehrer ist mit 35 Jahren gestorben. Keiner kann oder will sagen warum - es ist nicht recht herauszufinden. Die Vermutung heisst HIV – noch immer ein Tabu und darum nicht beim Namen genannt. Im Spitalalltag wurde deswegen eine weitere Abkürzung eingeführt, RVD für retroviral disease. Freitag morgen, der Spitalbetrieb steht still, umgezogen sitzen alle im Schulraum der Schwesternschülerinnen. Die Hälfte haben wir verpasst, und trotzdem dauert es noch mehr als eine Stunde. Um die Sitten zu wahren, haben wir uns Dr. Radet angeschlossen. Es gibt ein gedrucktes Funeral-Programm mit Foto und ungefähr neun Programmpunkten. Dann kommt die Predigt des Pfarrers, eine wahre one-man-show. Sein inbrünstiges Gebrüll wird übers Mikrofon tausendfach verstärkt, überschlägt sich und gleicht eher einer politischen Aufklärungs- oder Erziehungskampagne und vertreibt auch den leichtesten Anflug von Andacht. Das Ganze wird in die lokale Sprache Bemba übersetzt, aufgrund der akustischen Vergewaltigung eine nicht enden wollende Tortur. Aufgrund der Tonverhältnisse ist nicht alles zu verstehen – Worte wie Prostitution, Kondom, und Männer, die nur dem auf und ab frönen, scheinen aber nicht recht zu einer Beerdigung passen zu wollen. Danach singt die Witwe ein Lied, leider auch durch das schlechte Mikrofon entstellt. Anschliessend strömen alle aus dem Saal, um dem Verstobenen die letzte Ehre zu erweisen (bodyviewing). Die Frage woran er verstorben sein mag, bleibt offen, liegt da doch ein stattlicher, gut genährter Mann im Sarg – es mag so gar nicht zu HIV passen. Etwas verstört wird der Heimweg angetreten, haben wir uns doch eher eine etwas würdigere Zeremonie erwartet. Schliesslich zaubert der sonntägliche Gottesdienst in der katholischen Kirche vis-à-vis jeweils die schönsten afrikanischen Gesänge in den Garten unseres kleinen Hauses.
Über den Tod lassen sich viele Zeilen schreiben. Im Gegensatz zur Schweiz sind es vor allem Kinder und junge Erwachsene, nicht Greise, die sich verabschieden – nicht selten, bevor sie überhaupt einmal auf der Erde angekommen sind. Sie sterben an Malaria, weil die Blutkonserven zu knapp sind, sie dekompensieren an ihrer Anämie. Das Klagen ihrer Mütter ist ein schrilles Geheul. Im Gebärsaal kommt manch eines tot auf die Welt, stirbt weil es eine Frühgeburt ist oder an seinen Missbildungen.
Jana rennt mit der kleinen Beauty gegen die Zeit an. Sie ist 13 Jahre alt, hat eine dekompensierte Herzinsuffizienz und keucht, während sie innerlich ertrinkt. Die Klinik legt einen angeborenen Herzfehler nahe, wahrscheinlich ein VSD mit Links-Rechts-Shunt – eine operativer Eingriff wäre nötig, in ganz Sambia (doppelt so gross wie Deutschland) gibt es nicht einen einzigen Herzchirurgen. Lasix wird verordnet, aber nicht gegeben – die Pflege ist chronisch unterbesetzt. Die meisten Verordnungen werden im Lauf von drei Tagen oder gar nicht ausgeführt, ohne Beachtung der Dringlichkeit. Ab Samstag Nachmittag bis Montag früh können keine Medikamente für die Patienten organisiert werden, da die spitalinterne Apotheke geschlossen hat. Jana nimmt das Holen und Verabreichen der Medikamente selbst in die Hand, drei von vier Ärzten basteln aus einem alten gynäkologischen Stuhl ein Bett mit verstellbarer Rückenlehne, so dass das Mädchen die Nächte nicht mehr auf einem Stuhl verbringen muss – liegen kann sie nicht mehr, die Luft fehlt dann zu sehr. Was sie wirklich bräuchte, wäre einen Flug in ein Land mit medizinischen Möglichkeiten – also ein Unding.
Es ist ein Drahtseilakt zwischen akzeptieren und nicht resignieren. Den Dingen nicht einfach ihren Lauf zu lassen und alles wieder in Gottes Hände legen zu wollen. Sich nicht zu fragen, was mit dem Geld, den ein IPS-Platz in der Schweiz (an die dort vertretenen Jahrgänge mag man gar nicht denken) kostet, hier in einfachste Mittel investiert, erreichen könnte. Erinnerungen an die Absurdität, wie sich das obere Kader zweier Abteilungen um eine privat versicherte Patientin streiten kann, gehören definitiv zu einer anderen Welt. Zu einer, in der sich die Medizin irgendwie zu weit von ihrem Ursprung entfernt hat.