anders


Diese Eiterbäuche, wenn sie bloss nicht so stinken würden. Da sammeln sich literweise Eiter an, es läuft aus jedem Loch im Bauch. Initial ein Kaiserschnitt, war der Bauch innerhalb von zehn Tagen dreimal schon offen. Nun gibt es kein Gewebe mehr, um den Eingriff nochmals zu wiederholen. Eine Spüldrainage im Bauch, ein T-förmiger Hautschnitt, eine dreifache Antibiotikatherapie. Seit heute ist der drainierende Schlauch verstopft. Nachdem ungefähr zwei Liter Spülflüssigkeit in den Bauch rein und nicht wieder raus sind, hat sich das Spülsystem selbst ins Aus geschossen. Und das war irgendwie die letzte Möglichkeit. Aus der Haut fliesst Eiter, ein ewiger Kampf gegen die Fliegen, der Gestank ist einfach nur grauenvoll. So ruht die Hoffnung auf dem Immunsystem der Patientin und wieder fällt einem das Beten ein. Während den Überlegungen zum wie-weiter, kommt die Hebamme etwas schneller um die Ecke als sonst. Blutung bei Plazenta praevia („Plazenta vor dem Ausgang“).
Emma ist neunzehn Jahre alt, 146cm gross und erwartet ihr erstes Kind. Seit ungefähr vier Wochen ist sie stationär, ungefähr in der 34. Schwangerschaftswoche. Ungefähr, weil die letzte Periode nicht genau bekannt ist und der erste Ultraschall vor vier Wochen erfolgte. In Kashikishi geht es so: nach Möglichkeit Mutter und Kind retten, falls das nicht möglich ist, die Mutter. Ab 1500g Geburtsgewicht haben die Kinder eine reale Überlebenschance. Am Freitag hat der Chefarzt, Doctor Ndui, entschieden noch zuzuwarten. Ndui ist neunundzwanzig Jahre alt, Chefarzt, weil es eben einer machen muss. Ein liebenswerter Kerl, aber mit viel grün hinter den Ohren. Jana nennt ihn ein fröhliches Kind mit Flausen im Kopf. Hierarchien und einzuhaltende Wege gibt es auch hier, genau wie in der Schweiz. Auf das heutige Ereignis wurde mit offenen Armen gewartet, zumindest meinerseits.
Emma sitzt mitten in einem Haufen Koagel, anders kann man das nicht nennen. Die Menschen hier kollabieren in der Regel nicht. Die nette Umschreibung the patient collapsed, bedeutet der Patient ist tot. Jetzt sollt es schnell gehen – warum sie keinen venösen Zugang hat ? Die Frage taucht erst jetzt beim Schreiben wieder auf...im Moment werden einfach zwei neue gelegt. Auf dem Gang wird alles für den OP bereit gemacht. Wehe sie ist nicht rasiert oder die Einwilligung ist nicht unterschrieben (ungefähr Dreiviertel der Unterschriften bestehen aus einem Fingerabdruck, die Analphabetenrate lässt grüssen). Blutdruck messen, nochmals einen Blick auf die Blutung werfen und – power cut. Dunkel wie in einem Kuhmagen. Auch ein Handy-Display spendet Licht. Endlich im OP, ist da kein Anästhesist weit und breit, er trudelt beim Hautverschluss ein. Eine Ladung Ketamin musste genügen. Irgendein Pfleger, der unterwegs aufgelesen wurde, musste spritzen, und darauf achten, dass die Patientin noch lebt. Dr. Radet operiert, ich finde heraus, dass ich auch OPs-Schwester und Assistenz in einem sein kann.
Mutter und Kind geht es nach der Operation, den Umständen entsprechend, gut. Ein ganz normaler Tag hier. Gestern ist eine Frau zwei Tag nach der Geburt ihres Kindes mit einem riesen Zahnabszess gekommen, hat sich hingelegt und ist gestorben. Auch ein normaler Tag hier, einfach anders.