mutomboko


Ein kulturell voll beladenes Wochenende ist vorbei gezogen und seither sind die Abende im Zeichen des nahenden Abschieds reich gefüllt. Am Samstag hat in Kazembe das alljährliche Mutomboko stattgefunden. http://umutomboko.homestead.com 
Chief
Das Oberhaupt der Lunda, kurz Chief genannt, feiert in einer traditionellen Zeremonie den Sieg seines Stammes, zur Zeit als die Lunda über den Fluss Luapula nach Sambia eingewandert sind. Mwata Kazembe, der Chief, wird von Schrein zu Schrein eskortiert, um den Geistern seiner Ahnen zu huldigen. Essen wird in den Fluss geworfen, um die Gemüter der einst ermordeten Häuptlingskinder zu besänftigen. Alles begleitet von ohrenbetäubenden Gewehrschüssen aus nächster Nähe und einer riesigen Menschenmenge.
Subchief
Eine Menschenkette aus Soldaten der sambischen Armee hält die Massen im Zaume. Alles verschwindet in Dichten Wolken von Staub. Im Palastgarten, der Palast ist ein besseres Backsteinhaus, stolziert ein Pfau, tummeln sich die hässlichen Tiere mit dem Namen Truthahn. 
Mary
Mehrere Subchiefs mit farbenfrohem Kopfschmuck und zerfurchten Gesichtern sind zu bestaunen, ein Sehen und zum Teil auch gesehen werden. Zum Beispiel Mary, die Chairlady der Patriotic Front in Mansa, eine demokratisch-sozialistische politische Partei von Sambia.
Der weitere Tag wird grösstenteils mit Warten auf das wichtigste Ereignis, den Tanz des Chiefs, verbracht. Unverhofft in Begleitung unserer Nachbarn, zwei jungen katholischen Priestern, die dem ganzen Tag das Besondere verleihen, was er sonst missen lässt.
Einem europäischen Stadtfest ähnlich, gibt es an jeder Ecke etwas zu essen, das Bier fliesst in rauhen Mengen. Einer der Priester erzählt, dass zwanzig Tausend Kondome verteilt wurden – das lässt hoffen...
Zuschauer
Der Siegestanz in der Arena schwindet in endlosen Reden von Politikern und anderen wichtigen Personen dahin. Die scheppernde Musikanlage und das Meer aus Werbebannern der verschiedenen sambischen Telefongesellschaften stehlen dem Anlass das letzte Bisschen Tradition und Würde.
noch mehr Zuschauer
Man ertappt sich dabei, als Fremder zu meinen, auch den letzten Rest an Kultur mit grossem oh und ah bestaunen zu müssen, was zugegebenermaßen schwerfällt. Um so befreiender ist es im Spital zu hören, dass die meisten den Event aus den gleichen Gründen einmal und nie wieder besucht haben.
Und auch umso schöner ist der Sonntag mit dem Gottesdienst und der Feier zu Ehren der neu geweihten Priester ausgefallen. Kurzerhand wurde draussen eine Openair-Kirche gezimmert. Am Nachmittag
my father...
wurde im kleinen Rahmen weitergefeiert, aufgezogen wie eine Hochzeit: die Vermählung der Priester mit Gott. Höhepunkte waren die tanzenden Nonnen und heiligen Väter (Erinnerungen an Sister Act kommen auf), sowie das Anschneiden einer Torte durch die frisch ordinierten Priester als Paar mit Jana’s Kommentar: „auf einem Foto würde man jetzt an ein gay wedding denken“.
...und nochmals: im Amt
In katholischen Priestern zwei gute Freunde zu finden, gehört sicher zu den am wenigsten erwarteten Begebenheiten dieses Abenteuers. Ihre Offenheit gegenüber all den kritischen Fragen zur Kirche und ihre Fähigkeit zur Diskussion über Glauben und das Leben überhaupt, gepaart mit einer Unmenge Humor, lassen jede Weltfremdheit missen. 
Wahrscheinlich geschieht es nicht jeden Tag, dass der soeben am Strassenrand ruinierte Flip Flop mit im Staub gesuchtem und gefundenem Draht durch „my father“ repariert wird. Leise lässt sich ahnen, wie eine Begegnung mit der Kirche auch sein könnte: eine bereichernde Kultur, die mit Fröhlichkeit den Alltag beglückt. Zugegeben, daheim schwer vorstellbar.



die Bibel singt sich zum Altar


vielerlei


Diese Woche nach dem Ausflug nach Mansa ist nur so dahingeflogen. Mit allerlei Geschichten und Bildern - mit schönen und weniger schönen.
Eine Frau, die nach einer Vergewaltigung ausgesehen hat, als hätte sie mit einem wildgewordenen Tier gekämpft: mehrere Bisswunden und das eine Auge blau zugeschwollen. Eine Anzeige bei der Polizei hat sie gemacht und auf die Frage, ob sie noch etwas wissen möchte, meint sie: „Madam, the bible says to forgive...“ oh ja klar, immer und alles – unerwartet erweitert sich das Spektrum der psychologischen Betreuung auf die Auslegung der Bibel. Die Nachfrage ergibt, dass die Frau von den Angehörigen des Mannes gebeten/gedrängt wurde, die Anzeige zurück zu ziehen. Es folgt der Versuch, die Vergebung auf die eigenen Gefühle zu lenken, um irgendwann vielleicht den Hass, den Ekel und die Angst loszuwerden oder umwandeln zu können. Die versuchte Erklärung, dass der Mann, der ihr das angetan hat, seine eigene Vergebung finden muss. Ohne dass dies die Tat in irgendeiner Weise rechtfertigen oder die Strafe aufheben würde. Im Hinterkopf tauchen Bilder an das „C.S.I-Miami-Kit“ in der Schweiz auf, wo den Patientinnen in einer zweistündigen Prozedur mit diversen Tupfern und Stäbchen Gewebeproben an allen mögliche Körperstellen nach genauem Protokoll, fein säuberlich in einer Schachtel numeriert und mit Siegeln verschlossen, entnommen werden – einmal mehr kommt der Gedanke an ein Paralleluniversum auf.
Der Glaube hier hat hier einen enormen Stellenwert. Es gibt keinen Menschen, der nicht regelmässig zur Kirche gehen würde. Zudem werden Frauen nach Vergewaltigungen oft von ihren Ehemännern verstossen, wobei nicht selten der Ehemann selbst, manchmal auch der Vater, der Täter ist. Offiziell ist es auch in Sambia verboten – dennoch scheint es noch immer eine sehr breite Grauzone zu geben, inklusive Korruption bei der Polizei.
Kim hat heute ein Mädchen gesehen, dass regelmässig epileptische Anfälle zu haben scheint und wegen Schmerzen, Schwellungen und massiven blauen Flecken am ganzen Körper ins Ambulatorium gekommen ist. Sie hat erzählt, dass sie zwei Mal pro Woche Krampfanfälle hat, weil sie von einem Dämon besucht wird. Um diesen zu vertreiben, wird sie jedes Mal von der ganzen Familie geschlagen - so fest es eben geht.
Diese Woche haben wieder die sechzehnjährigen Mütter das Zepter übernommen. Eine davon hat eine Beckenendlage geboren (Primipara), weil die Instrumente noch alle sterilisiert werden mussten und als sie dann endlich fertig waren, war der Fuss auch schon da - alles gut gegangen. Aus dem selben Grund wurde eine andere Patientin abends um acht mit Darmverschluss circa zwei Wochen nach Kaiserschnitt operiert, ein Bridenileus. Alles gut bis zur Perforation des Darmes. Kurz vor Mitternacht fertig – Operation und Team. Die verordnete Magensonde ist am nächsten Mittag noch nicht aufgetaucht, eine stündige Wanderung durchs Spital bringt schlussendlich doch noch Erfolg.
Zwei Mal Sectio wegen Eklampsie, zwei Mal gut gegangen. Die Schonfrist ist vorbei, die OP-Assistenz besteht aus zwei nurse students anfangs zweites Jahr - das erste Jahr besteht nur aus Theorie. Die Diagnostik besteht aus dem beobachteten Krampfanfall und einem zu hohen Blutdruck, sowie allenfalls weiterer Klinik. Je nach Tageszeit und Möglichkeiten des Labors lässt sich auch noch eine Proteinurie nachweisen. Dann gibt es in jede Pohälfte 2,5g Magnesiumsulfat und wenn es sehr schnell geht, nach fünfundvierzig Minuten die Sectio. Chemielabor war bisher zu keiner Zeit möglich.
Im medical ward hat sich eine Familie mit Pflanzenschutzmittel im Nshima vergiftet. Der Vater und zwei Kinder sind gestorben, die Mutter und ein weiterer Sohn scheinen es über den Berg geschafft zu haben.
Ein Kind wird mit schwerster Mangelernährung aufgenommen. Mögen die Hungerbäuche noch Mitleid hervorrufen, so ist das hier nur ein Bild des Grauens: Haarausfall, offene Beine und der Gestank von verderbendem Fleisch – wie immer von einem Schwarm Fliegen begleitet. Am liebsten möchte man einfach nur das Weite suchen.
Nebenbei der Versuch ein kleines Abschiedsfest zu organisieren – natürlich im afrikanischen Rhythmus.
Auf dem Heimweg die Begegnung mit zwei Kindern, die je ein Meerschweinchen tragen. Seither das Wissen, dass diese auch zum sambischen Speiseplan gehören. Lautes Lachen als Patricia erfährt, dass Meerschweinchen in Europa als Haustiere gehalten werden.
Wahrscheinlich sind in diesem Wochenrückblick noch einige Dinge unter den Tisch gefallen. Manchmal ist einfach die Dichte zu gross.

mansa


Ein kleiner Ausflug in die Zivilisation. Vier Stunden Autofahrt bis nach Mansa, in denen sich Ziegen als Verkehrsteilnehmer studieren lassen. Abbremsen, Hupen und dann warten bis sich auch die Letzte der Gruppe dazu entscheiden kann, von ihrem gerade so köstlichen Blättchen abzulassen um kurz vor der Frontalkollision noch die Strassenseite zu wechseln.
handgemalte Werbung in Mansa
Die Fahrt geht durch den frühen Morgen, freundlicherweise in Mr. und Mrs. Chiwala’s äusserst feudalem Auto. Unterwegs wird immer einmal wieder angehalten, um jemanden ein Stück des Weges mitzunehmen. Die Polizei errichtet kurzerhand eine Strassensperre, da zwei weibliche police officers eine Mitfahrgelegenheit in den nächsten Ort benötigen.
Mansa ist eine richtige kleine Stadt und Teja Lodge tatsächlich eine kleine Hotelanlage mit Pool ohne Wasser. Es gibt einen richtigen Supermarkt mit Karotten und einer Kasse und vielem vielem mehr...der durchschnittliche Körperumfang in Mansa beträgt ungefähr das Doppelte von dem in Kashikishi.
Abends im Hotel für einmal das umgekehrte Problem: das Licht will nicht ausgehen, egal welche Schalter und welche Knopfkombinationen auch gedrückt werden. Innerhalb einer Stunde wird zum dritten Mal die Rezeption kontaktiert. Nach Reparatur des kaputten Bettes und Versorgung mit einem zweiten Moskitonetzes erfolgt nun die Instruktion bezüglich Licht löschen. Der Dimmer mitten im Zimmer (ein durchdrehendes Rädchen) muss in eine spezielle Position gebracht werden, damit mit dem Schalter das Licht gelöscht werden kann. Die Vorstellung, nach all den vielen Stunden power cut die Nacht bei hell brennendem Licht zu verbringen, hat was für sich. Aus der Wand kommt ein Rinnsal an warmem Wasser...alles kaum zu glauben und und dem Paradies erstaunlich nahe.
auf dem Markt
Der Markt in Mansa weckt ferne Erinnerungen an die Gässchen der Old City in Jerusalem. Vielfach verwinkelt und verzweigt, bis sich das Eine im Anderen verliert. Es ist, als hätten sie das Kleid der Armut übergestreift und so ziehen die Ähnlichkeitsgedanken schnell weiter, um sich bald vollständig aufzulösen.
Noch einmal übrigens Blessings: es geht ihr gut, mit eigenen Augen im Mansa General Hospital gesehen. 
Patientenaufnahme Mansa General
Hospital
Der Besuch im Spital da, war auch eine lustige Erfahrung. Es lässt sich nämlich einfach reinspazieren und alles inspizieren, was einem so einfällt. Im Falle eines fragenden Blickes trällere man einfach das landesübliche „how are you“ und schon ist man in ein Gespräch verwickelt, wird durch Patientenzimmer geführt, sieht die Küche, in der die unter- und mangelernährten Kinder bekocht werden, darf nach einem Schuhwechsel im OPs mal kurz die saubere Toilette benutzen, und steht eben zum Schluss in Blessings Zimmer. Dieses Strahlen auf ihrem Gesicht hätte man einfangen sollen, um es für die Ewigkeit zu bewahren - selten hat Freude so geleuchtet.
auf den Bus warten
Die Busfahrt zurück nach Kashikishi, war so, wie man es sich wahrscheinlich vorstellt (Abfahrt mit knapp drei Stunden Verspätung): überquellende Mengen an Menschen und Gepäck, fünf Sitze in einer Reihe, der Gang wird zur zusätzlichen Gepäckablage umfunktioniert.
Eine Matratze hängt von einer Gepäckablage zu anderen über unseren Köpfen. Wie immer kann man nicht umhin, die unglaublich zufriedenen und ruhigen Kinder zu bestaunen. Stück für Stück werden unterwegs die Menschen mit ihren neu erworbenen Gütern am Strassenrand abgesetzt. 
Die Weite des Landes fliegt am Fenster vorbei, verzaubert mit dem Anblick von grasgedeckten Hütten im Schein der schwindenden Sonne, wie immer geht das Herz weit auf. Bei jedem Stopp wird eine gefühlte Tonne Staub durchs Fenster gewirbelt, die saubere Dusche ist schon wieder weit weit weg.
Vielleicht wäre es etwas erträglicher gewesen, hätte alle paar Wochen ein Ausflug nach Mansa unseren Kühlschrank bereichert – man kann sich wahrscheinlich nicht vorstellen, was für einen Unterschied es macht, eine Karotte und ein Stück Cheddar essen zu können: Glücksgefühl pur.
Mansa zu sehen hat auch Sambia’s Gesicht neu Züge verliehen. Waren Sambia und Kashikishi vorher doch untrennbar Eines. Immer mit dem Gefühl verbunden, diesem Land und besonders den Menschen hier nicht gerecht zu werden. Viele von den Menschen, die wir hier kennen, werden arbeitsbedingt nach Kashikishi zwangs-versetzt und wünschen sich weit weg von hier, weg von dieser ländlichen Armut und der nicht vorhandenen Bildung.
Kurz vor der Haustür erklingen einmal mehr die Totenklagen: welcome home.


immer noch


links daneben die nächste
Patientin
Trotz aller Gewohnheit gelingt das Staunen noch immer - man nehme die beiden letzten Tage. Die rote Z-Linie im OPs (die Trennung zwischen steril/unsteril) muss neu gemalt werden. Man mache das natürlich dienstagmorgens um acht. Das heisst, an einem Tag, an dem viele geplante Operationen stattfinden sollen, so dass man möglichst oft durch die frisch gemalten Linien fährt, womit innert Kürze der ganze Boden zu einem langen Banner abstrakter Kunst verwandelt wird. Das Ganze auf einen Abend oder das Wochenende zu legen, schien keine Möglichkeit zu sein.
Fünf Mal Kaiserschnitt über Nacht und keine sterilen Instrumente mehr für eine Bauchoperation, so gestern. Und natürlich keinen Strom, um wieder an solche zu kommen. Ein weiterer Kaiserschnitt, schon mindestens seit fünf Stunden überfällig (St.n. Sectio und ein Geburtsfortschritt von acht auf neun Zentimeter in acht Stunden, Geburtsgeschwulst und Mekoniumabgang), noch geht es Kind und Mutter gut. Zwei weitere Stunden vergehen, bis klar und organisiert ist, dass mit dem bisschen Strom, das ankommt, bis Sonnenuntergang nicht mit sterilen Instrumenten gerechnet werden kann und die Patientin ins nächste Spital verlegt werden muss. Dieses ist circa vierzig Minuten Fahrt entfernt, erst musste noch abgeklärt werden, ob es da Jemanden gibt, der die Anästhesie machen kann. Mr. Mwape geht als medical licensiate mit um zu operieren, denn einen Arzt gibt es dort gerade nicht. Nach weiteren fünf Stunden ist er wieder zurück, alles ist soweit gut gegangen. Nach achtundvierzig Stunden sind die benötigten Instrumente noch immer nicht sterilsiert zurück.
mit dem Krankenwagen ins
nächste Spital
Doctor Jana hat eine Patientin, die noch lebendig mit einem Hb von 1,7g/dl im Bett sitzt. Immer wieder gibt es solche Werte, regelmässig liegt das Hb zwischen 3,5 und 5g/dl. Eine Bluttransfusion gibt es sicher unter 5g/dl, zwischen 5 und 6g/dl wird diskutiert – je nach Menge an vorhandenem Blut und Zustand des Patienten.
3 Mal Baby in einem
Heute wurde eine Patientin nach der Spontangeburt von Drillingen in einer Aussenstation wegen vermehrtem Blutverlust zugewiesen, Hb 6,4g/dl - also alles gut...Frau und Kinder sind wohlauf, sie selbst ist zwanzig Jahre alt und hat daheim schon ein Kind - what can you say.
Übrigens: Blessings geht es gut, der Bauch wurde nochmals operiert, Doctor Radet hat sie auf dem Weg zu Freunden eigenhändig in Mansa besucht.
Und noch immer scheint jeden Tag die Sonne - an die Form einer Wolke gibt es unscharfe Erinnerungen. Die Luft ist frisch und auch in Afrika gibt es ein Winterlicht, irgendwie unmöglich zu beschreiben. Der anfangs getroffene und viel beschriebene golden-warme Weichzeichner ist zu einem kühlen, dunstigen Flutlicht von schwacher Intensität geworden, einzig in den Stunden über Mittag mag sich ein wenig des goldenen Schimmers durchsetzen. Und jeden, aber auch wirklich jeden einzelnen Tag, kann man sich auf das dramatische Versinken der Sonne im Lake Mweru verlassen.


 











...

geweckt


Aufwachen in Kashikishi ist immer wieder ein Überraschungsmoment. Selbst Nicht-Frühaufsteher schaffen es nicht länger als bis viertelvoracht zu schlafen. Der Wecker hat hier von Natur aus diverse Klingeltöne: Kirchenglocke (besser –glöckchen), es kräht der Hahn – bei ganz grossem Glück direkt
Kirchtum zu St. Paul's
vor dem Fenster und dann nicht nur einmal, sondern in der Endlosschleife. (Zitat Pascale: „hätt ich eine Steinschleuder gehabt, ich hätt ihn abgeschossen“). Dann gibt es die Totenklagen, das Blätterwischen im Garten (zum Glück nicht mehr um vier Uhr nachts), das Geheul einer Hundemeute oder ganz einfach die Geräusche eines Dorfes, wenn es sein Tagwerk beginnt. Neu hingegen ist das Prasseln von Feuer - eines sehr grossen Feuers.
Der Garten des Swisshouses wird von einer Mauer umgeben, auf der eine Endlosreihe an Glasscherben das Sonnenlicht bricht. Man könnte sagen, sie stört die Ästhetik der Ausssicht empfindlich. Es gehört hier zum Alltag, dass das Land mittels Brandrodung bearbeitet wird; normalerweise tangiert es das Muzungu-Leben wenig. Fünf bis sechs Meter hohe Flammen machen aber ganz schön Krach, da lässt es sich einfach aufwachen oder besser gesagt unmöglich weiterschlafen. Insbesondere, wenn man sich nicht sicher sein kann, ob es die Flammen vielleicht nicht doch noch über die Mauer schaffen könnten – haben sie schlussendlich nicht. Übrig geblieben sind schwarze Baumgerippe, verkohlte Gräser und Sträucher. Ebenso Land, das man bearbeiten kann. Und die Mauer als treuer Hüter des Inseldaseins hat eine ganz neue Bedeutung erhalten.
Irgendwie hat eine Art Routine Einzug gehalten. Die Versuche mit Fotos den Alltag, das Andere dieser Welt, festzuhalten und dabei die Feststellung, wie viele Dinge mittlerweile einfach normal geworden sind – so normal, dass man sich anstrengen muss, das lohnenswerte Fotosujet mit dem Auge einfangen zu können. Man ertappt sich beim Gedanken, ob das Spital in den letzten Wochen vielleicht sauberer geworden ist, wohin all die Geruchsbelästigungen verschwunden sind.
Und erstmals tauchen Gedanken an den Abschied auf, wird ein klein bisschen Wehmut geweckt. Da gibt es einerseits eine unbändige Freude, zum Beispiel beim Gedanken an eine stundenlange Dusche mit richtig warmem Wasser bis sich die Haut auflöst, die Haare ausfallen und Schwimmhäute wachsen. Und dann gibt es alle diese wunderbaren Menschen hier, die Freundlichkeit von alltäglichem Sonnenschein. Zum Beispiel Patricia, eine meiner Lieblingshebammen, die uns eine Kashikishi-Pizza (Piessa gesprochen) besorgt (für sambische Verhältnisse mit beinahe unheimlicher Schnelligkeit), im Swisshouse niemanden antrifft und sich einfach selbstverständlich in die OPs-Umkleide setzt und wartet, bis wir spätabends fertig sind. Eine kleine Pizza für vier Personen und trotzdem ein Hauch von Geburtstag und Weihnachten in einem.
25 Kwacha = Gourmetmenu
Die versuchte Aufklärung über das Geheimnis all dieser grünen Blätter an einem ruhigen Morgen im Gebärsaal: da gibt es doch tatsächlich Vorlieben für die Blätter von Süsskartoffeln, Kürbis oder Cassava. Grosses Erstaunen meinerseits, sind es doch eben einfach alles grüne Blätter, wenn auch zugegebenermaßen mit leichter Varianz im Geschmack. Irgendwie kommt das Bild von Ziegen auf, die einander erklären, von welchem Strauch sie die Blättchen am liebsten fressen. Das helle Lachen von Kalolekesha, der Hebamme mit dem kompliziertesten Namen und dem grössten Sprudel-gute-Laune-Charakter, über diese Undifferenziertheit des Muzungu-Geschmackssinnes. Und das eigene geistige Schlaraffenland, dass bei Ankunft zuhause für mindestens drei Tage einen verdorbenen Magen verspricht. Es ist erstaunlich, wie sehr die Nahrungsmitteleinöde aufs Gemüt schlägt. Man könnte denken, dass es zu mehr Bescheidenheit bezüglich kulinarischer Ansprüche führen würde - aber irgendwie trifft genau das Gegenteil zu und es ruft nicht einmal Schamgefühle hervor. Man liebt und vermisst, was man kennt. Kalolekesha berichtet über Kummer, wenn sie zwei Tage kein Inshima essen kann, Patricia braucht jeden Tag ihre grünen Blätter...
Ein Leben ohne den allgegenwärtigen Staub von Kashikishi mit all seinen mehr oder weniger zauberhaften Eigenheiten scheint genauso undenkbar, wie ewig hierzubleiben.