Eine Frau mit Wehen meldet sich im Gebärsaal an: ein gebücktes Heranschleichen bis einem die diensthabende Hebamme erblickt hat oder falls diese gerade anderswo tätig ist, schnappt man sich die nächste freie Pritsche. Sterile
Handschuhe, Unterlage (Plastik und Citenge) zum drauf liegen und diverse Tücher
für das Neugeborene werden selbst mitgebracht, d.h. in der Regel kommt eine
Begleitung – normalerweise die Mutter – mit der Ausrüstung hinterhergeschnauft. Es kann auch sein, dass diese genauso schwanger ist wie ihre Tochter. Ohne eine genaue Statistik erhoben zu haben, scheint das Durchschnittsalter für das erste Kind bei siebzehn oder achtzehn Jahren zu liegen.
Blick vom Beamtentisch aus |
Meist geht die Geburt lautlos vor sich, da kann es auch
einmal passieren, dass man beim Umdrehen den schon geborenen Kopf zwischen den
Beinen der Frau entdeckt. Nur die Erstgebärenden geben manchmal leise
Schmerzenslaute von sich. Eine Analgesie während der Geburt ist hier nicht
einmal ein gedachtes Thema. Überhaupt sind die Menschen hier sehr tapfer,
sprich äusserst hart im Nehmen. Glücklicherweise gebären die meisten Frauen
über Damm intakt, Risse gibt es meist nur beim ersten Kind.
Von Herztonüberwachung zu sprechen, ist die schiere
Übertreibung. Mittels Pinard Stethoskop werden sie bei Eintritt und bei
Unregelmässigkeiten im Geburtsfortschritt oder sporadisch überprüft – für eine regelmässigere Überwachung fehlt die Zeit.
"Kashikishi-CTG" |
Ob die Geburt regelrecht vorangeht, wird alle vier Stunden
mittels Vaginaluntersuchung kontrolliert – man kann die verschleppten
Geburtsverläufe erahnen. Klares Fruchtwasser ist ein Anlass zur Freude und eher eine Rarität. Bevor
man eine Fruchtblase sprengt, muss man sich nach dem HIV-Status der Frau
erkundigen, zum Schutze des Kindes. Atone Nachblutungen gibt es trotz den vielen Multiparas
selten. Wo das Unterbewusstsein all die toten Kinder versorgt, gilt es noch herauszufinden.
Immer noch faszinierend ist die Selbstverständlichkeit mit
der die frisch entbundenen Frauen unmittelbar nach Geburt aufstehen, sich
meist selbständig waschen und wieder anziehen, ihr Köfferchen packen und in den
Wochenbettsaal hinüber marschieren. Nach sechs Stunden werden alle
Spontangeburten nach Hause entlassen. Dies nachdem sie von der diensthabenden
Hebamme aufgeklärt wurden, unter anderem die Nachkontrollen wahrzunehmen – für
Impfungen und family planning. Bei Geburtsgeschwulsten nach Vakuum oder sonst einem verzögerten Geburtsverlauf muss man den Frauen erklären, dass sie diese in Ruhe lassen müssen. Die Grossmütter kneten diese sonst und versuchen, dem Kopf wieder seine „richtige“ Form zu geben.
Die Kaiserschnitte werden nach Möglichkeit am dritten Tag nach Hause geschickt. Ein Bestandteil der verzweifelten Infektprophylaxe – alle Frauen benutzen das gleiche Klo , bzw. die gleiche Waschmöglichkeit. Zur Analgesie gibt es postoperativ Diclofenac, Katheter und Thromboseprophylaxe gibt es keine. Bei der normalen Bestückung mit zwei Ärzten, ziehen manchmal zwei Wochen ins Land bis Patienten entlassen werden. Ähnlich kann es für die Erstbeurteilung bei Spitaleintritt aussehen, in der Regel vergehen bis dahin mehrere Tage.
WC im Gebärsaal |
Doctor Nina's persönliches Fegefeuer in Kashikishi sind - wahrscheinlich einfach zu erraten - die infizierten Wunden, auch unter Eiterbauch bekannt. Ob die tägliche Wundversorgung oder die operative Sanierung, beides scheint eine neverending story.
Vor einer Woche sind die neuen Unterassistenten aus der Schweiz eingetroffen, Kim und Lea. Erst als Kim heute nochmals von seinen ersten Eindrücken im OPs erzählt hat, wird klar, Afrika macht seinen Einfluss geltend: da gibt es schon lange kein ärgern mehr, dass dies und das nicht vorhanden, oder dies und jenes nicht funktioniert. Die Energie wird ausschliesslich in die Problemlösung investiert, Daniel Düsentrieb lässt grüssen. Man stelle sich vor, in der Schweiz zu hören: "oh, keine Urinkatheter mehr...hmm dann lass und eine Magensonde verwenden." Im OPs war das ungefähr so: konzentriertes herumbasteln, als plötzlich der Generator ruckelt (das heisst, der Strom ist schon vor Beginn der Operation ausgefallen) und es dunkel wird. "oh that's bad" und "Kim, könntest du bitte die Stirnlampe aus dem Rucksack holen" ist alles was es da zu sagen gibt. Wenig später meint Dr. Radet: "da ist etwas an meinem Ohr". Richtig, eine kleine Spinne seilt sich ab. Wandert weiter zum Mundschutz, um noch mehr in die Tiefe schweben zu wollen - grad so auf den offenen Bauch zu. "...bitte, könnte jemand die Spinne da entfernen"...die Kakerlaken, die während der Visite überm Bett die Wand entlang flitzen, sind schon beinahe in Vergessenheit geraten.
Und last but not least: im Gebärsaal gibt es ein richtig gedrucktes Geburtenbuch (liebe Grüsse an den Gebs im Triemli) - ohne Lineal und Kleben, sondern ein schönes gebundenes und gedrucktes Buch.
Und last but not least: im Gebärsaal gibt es ein richtig gedrucktes Geburtenbuch (liebe Grüsse an den Gebs im Triemli) - ohne Lineal und Kleben, sondern ein schönes gebundenes und gedrucktes Buch.
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