Erstmals ein freies Wochenende, das heisst zwei ganze lange Tage.
Es ist schwierig sich loszureißen, die Patienten wieder der Willkür zu
überlassen. Meist beginnt der Samstag mit einem „nur kurz ins Spital, um nach
dem einen Patienten zu sehen und sicherzustellen, dass der im Bett daneben auch
seine Medikamente erhält“. Das „einfach nur schnell“ dauert in der Regel
mehrere Stunden, weil schnell hier eben einfach nicht geht. Für diesen Sonntag war ein Ausflug zu den
Wasserfällen angedacht. Aber Sonntag ist schwierig, denn da geht ganz Afrika
zur Kirche. Und wenn Kashikishi möglicherweise auch als gottverlassener Flecken
Erde Eingang in diese Erzählungen gefunden haben mag, so muss man doch sagen,
dass die Häuser des Herren zahlreich vertreten sind: Katholiken und
Protestanten, Pfingstkirche und Zeugen Jehovas streiten sich sozusagen um
verlorene Seelen. Lange Rede kurzer Sinn, der Samstag wird auserwählt.
Francis unser Driver, kommt mit einem 4-WD aus dem Spitalfuhrpark. Es ist nicht der Dreck, Gestank oder die Seuchen, auch nicht
der fehlende Komfort, die einem hier das Fürchten lehren. Es ist der Verkehr –
wobei man nicht weiss, was furchterregender ist: im Auto zu sitzen oder auf der
Strasse zu stehen. Die Windschutzscheibe erinnert an eine fette Spinne mit
ihrem Netz. Von dort, wo einst der letzte grössere Stein aufgeprallt ist,
ziehen sich unterschiedlich dicke Linien durchs Glas. Der Grundsatz ist einfach,
alles was bei drei nicht von der Srasse ist, hat Pech gehabt; das gilt für
Ziegen und Menschen gleichermassen. Hinten gibt es zwei Längsbänke, anschnallen
geht da nicht richtig. Die Finger graben sich immer wieder einmal haltsuchend in
die Lehne des Vordersitzes. Zwischendurch gibt es Schwellen, um die Geschwindigkeit
zu drosseln und dann gibt es nicht nur Eine, sondern gleich sechs
hintereinander. Der Schotter liegt lose, immer wieder lassen einem
einschlagende Steine oder eine prekäre Situation zusammenzucken. Es erinnert an eine Fahrt in der Geisterbahn. Nie weiss man, wann der nächste
Schreckmoment folgen wird. Zum Glück fährt Francis sicher. Und dann gibt es die
schönen Ausblicke in die Weite, unzählige Hütten im hohen Gras unweit der
Strasse und eine Gruppe junger Frauen, die uns vor einer Schranke Orangen und
geröstete Cassava-Wurzeln verkaufen möchte. Mit zwei Cassava-Toasts und zwei
Tüten Groundnuts (Erdnüsse) geht die Fahrt weiter.
Ntumbachushi |
Ntumbachushi am Ende einer tiefroten Naturstrasse ist die
Aufregung im Verkehr tausendmal wert. Ntumba bedeutet Berg und chushi Nebel,
vielleicht beschreibt es auch den feinen Sprühregen des Wasserfalls. Dieser ist
achtundzwanzig Meter hoch und sechzig breit, im Moment sind es zwei grössere Wasserfälle, die sich hinunterstürzen. Während der Regenzeit nutzen die
Wassermassen die ganze Breite aus. Oberhalb des Hauptwasserfalles gibt es mehrere
kleine Kaskaden, zu deren Füssen sich kleine Pools gebildet haben. Süsswasser
ohne Parasiten, fliessendes Wasser ohne Ende, Badewanne und Dusche in Einem.
Seit mehr als vier Wochen hat das Wort Sauberkeit nicht soviel sauber bedeutet.
Keine weitere Menschenseele weit und breit, Idylle pur. Bis zu dem Schrei, als
ich unerwartet halbnackt einer Gruppe von Afrikanern gegenüberstehe, der
Ausrüstung nach, muss es sich um ein sambisches Filmteam handeln. Ein Krokodil
hätte mich nicht mehr erschrecken können. Als wäre es das Normalste der Welt,
eine kreischende halbnackte Muzungu vor sich zu haben, gehen die Afrikaner
stoischen Mutes weiter.
Pascale |
Jana |
Gegen Abend warten wir eine Stunde, bis er uns abholt, zufrieden von Sonne, Wasser und gutem Picknick
– halbwegs an die lokalen Zeitangaben gewöhnt. Noch nicht ahnend, dass der
Hinweg eine Sonntagsausfahrt war, verglichen mit dem Rückweg bei Nacht. Es gibt
keine Mittellinie, das Tempo bewegt sich zwischen 80 und 120km/h. Keine
Leitplanken, am Straßenrand stehen und gehen Kinder, Straßenbeleuchtung existiert
nicht. Verkehr gibt es zum Glück wenig, so dass die Mitte der Strasse
ausgefahren wird. Bei Gegenverkehr wird die fehlende Mittellinie von beiden
entgegenkommenden Autos mit den zur Mitte liegenden Blinkern markiert. In dem
Moment, in dem sich die Autos kreuzen, ist für kurze Zeit gar nichts zu sehen –
nur gleißendes Licht. Keiner hat eine Antwort drauf, warum die riesengrossen
Sattelschlepper nur ein Licht haben. Es hilft, den Blick auf die Schemen der
Bäume im Gegenlicht des Abends fallen zu lassen. Bilder von angezündeten Feuern
vor den Hütten erhaschen zu wollen. Trotzdem ist es schwierig die Strasse ganz
aus dem Augenwinkel zu verbannen. Nach allzu kurzer Zeit übernimmt absolute
Dunkelheit die Regie, die aufprallenden Steine lassen fragen, ob es sich gleich
anhören würde, wenn man mit dem Auto durch Kugelhagel fährt. Diese Assoziation
mag den Militärhubschraubern vor einigen Tagen geschuldet sein. Mehrmals sind
sie übers Spital hinweggeflogen, offenbar zu einem Flüchtlingslager mit
Menschen aus dem Kongo unterwegs.
Nach einem Teller Spaghetti ruft das Bett.