Der Rapport (meeting) fällt wegen einem Notfall aus: Armamputation
rechts, 22 Jahre alt. Eingeklemmt in einer Maschine, nicht einmal für
schweizer Verhältnisse scheint noch etwas zu retten zu sein. Bei ohnehin schon
nervösem Magen und einer ausgesprochenen Nicht-Vorliebe für jegliche Art von
gequetschten oder halb abgerissenen Gliedmassen, ist die Möglichkeit in den
Gebärsaal zu gehen mehr als Willkommen. Doctor Jana ist sehr tapfer und
assistiert Doctor Ndui mit halb-stumpfer Säge, Feile, Nadel und Faden. Die
anschliessende Information, dass die Analgesie nur aus Diclofenac bestehen
wird, findet nur schwer Zugang zu unserem Verstand. Die Opiate sind out of
stock.
Der Gestank im ganzen Spital ist fürchterlich, ein ausweichen unmöglich.
Erstmals im Leben verspüre ich den dringenden Wunsch nach einer
Hygiene-Schwester.
Im Gebärsaal wird ein Kind geboren: Viertpara, HIV positiv,
kein venöser Zugang, Oxytocin i.m., manuelle Entfernung von Koageln intrauterin
zur Blutungskontrolle. Keine fünf Minuten nachher steht die Frau neben dem
Bett, das Kind liegt auf der Waage. Grosse Aufregung für ein grosses Kind mit
einem Geburtsgewicht von 3500g. Meine Frage nach dem „Normalgewicht“ hier und
die Antwort 2500-3000g machen definitiv klar, dass hier alles anders sein wird.
Daneben eine Frau, der die zehnte Geburt bevorsteht: this woman, she’s at risk for bleeding. Einmal
leer Schlucken – das vierte Kind ist nichts besonderes gewesen. Die Frau erhält
einen Venflon – erstes Erfolgserlebnis für Doctor Nina. Daneben bedeutet auf
der Pritsche (Metallgestell mit Gummimatratze) kaum zwei Meter von der anderen entfernt. Im gleichen Raum steht noch eine dritte Pritsche - alle im Blickfeld der Hebamme an ihrem
Beamtenschreibtisch. Hinter einer Trennwand im gleichen Raum gibt es nochmals
drei Liegen. Je nach Geburtsfortschritt rotieren die Frauen –
herausgefunden, nachdem nach jedem Mal umdrehen wieder zwei neue Frauen
daliegen. Für mich sieht eine wie die Andere aus.
Es folgt eine Tour durchs Spital, ein beelendender Anblick
jagt den anderen. Es sind der desolaten Anblicke soviele, dass sie Zeit für
ihren Weg aufs Papier benötigen werden.
Mittagessen daheim knapp fünf Minuten neben dem Spital.
Aktuell ist das Swiss House auch noch Swiss Hotel. Gäste aus der Schweiz machen
eine Inspektion vor Ort, um für die Waisenkinder finanzielle Unterstützung zu
leisten. Jede Art von Spende scheint hier mehr als Willkommen.
Am Nachmittag erreichen wir das Spital, eine 20-jährige Frau
hat vor drei Wochen ihr erstes Kind geboren, jetzt klagt sie über
Bauchschmerzen und Fieber. Der Bauch ist gespannt und sieht aus, wie im siebten
Monat einer Schwangerschaft. Die abdominale Flüssigkeitsaspiration hat puren
Eiter ergeben, die Spritze mit Inhalt wurde mitgegeben. Es wird die notfallmässige explorative Laparatomie bei
eitriger Peritonitis indiziert.
In der Zwischenzeit muss noch ein Kind gesehen werden,
dessen Zustand sich verschlechtert hat. Das Mädchen liegt in den Armen der
Mutter, trägt ein hübsches Kleidchen mit rosa Punkten und scheint zu schlafen.
Vor zwei Tagen wurde es stationär aufgenommen: Fieber und anämisch mit einem Hb
von 5,6g/dl, der Malaria-Schnelltest war negativ. Erwähnenswert ist der
Glücksfall einen Hb-Wert zu haben, in der Regel wird die Schwere der Anämie an
den Konjunktiven abgelesen. Die gut Zweijährige ist so somnolent, dass sie zur
weiteren Untersuchung zu einer Unterlage getragen wird. Die Pupillen reagieren
nicht mehr auf Licht, kein Herzschlag mehr. Rachel wird mit zwei Jahren und
zwei Monaten für tot erklärt. Die Kleine wird in ihr Citenge eingewickelt, der
Todeszeitpunkt in der im Schulheft geführten Krankenakte vermerkt. Meine Tränen
folgen denjenigen der Mutter stumm zum Fenster hinaus.
Dr. Ndui’s Fazit: eine Presentation über Malaria, die
Symptome waren so eindeutig - eine Malariatherapie und die Transfusion von Blut
wären notwendig gewesen.
Zurück zum vorherigen Fall. Die Operation findet im Theatre (OPs) statt: wir wähnen uns noch immer in einem surrealen Stück. Die Frau liegt
auf einer Liege, das Tuch auf dem sie liegt, ist ein schmutziger Fetzen, wir
kennen solche aus Autowerkstätten. Die grünen Abdecktücher sind wohl steril,
erzählen mit ihren Flecken und Rissen jedoch die Geschichte aller vorangegangen
Operationen. Die Desinfektion beinhaltet 3 Lagen: Soap, Iod, Spirit (lila
angefärbt, da er sonst getrunken wird – aus 80%-igem Alkohol). Das
Aufbewahrungsmodell entspricht auch hier dem Setting einer Autowerkstatt.
Desinfektionsmittel im OPs |
Zwei Liter Eiter werden aus dem Bauch gesaugt, anschliessend
wird der Darm auf der ganzen Länge auf seine Unversehrtheit geprüft, die
entzündlichen Adhäsionen fein säuberlich gelöst. Das Wasser zum Spülen soll Körpertemperatur haben: man nehme
einen Teekocher mit in den Operationssaal (oder eben ins Theater) und wärme im
darin gekochten Wasser die Infusionsbeutel an. Anschliessend mische man die
warme Infusionslösung zu gleichen Teilen mit der Kalten.
Spätestens während der Operation wird klar: die Zustände
entsprechen einem Lazarett im ersten Weltkrieg. Mehr dazu ein anderes Mal.
Erschöpft wird der Weg nach Hause angetreten, weder in
Stimmung für Small Talk noch für Barbecue von Muskelfleisch. Und auch nicht
ahnend, dass der nächste morgen mit einem Boten beginnen wird, der um
Siebenuhrfünfzehn zum Kaiserschnitt ruft, um ein totes Kind herauszuholen.
Die Zustände sind mehr als furchtbar und kaum zu ertragen. Dennoch
sind Freundlichkeit und Fröhlichkeit andauernd zu Gast. Beim verteilen der
Gaben muss dem lieben Gott wohl über Sambia der Frohsinn aus den Händen
gefallen sein.